Nitrosamin-Verunreinigungen in Arzneimitteln: aktualisierte Anforderungen zu Risikobewertungen, Dateneinreichung und Parallelimportpräparaten

Swissmedic ergänzt Massnahmen zur Risikobewertung möglicher Nitrosamin-Verunreinigungen in Wirkstoffen und Fertigarzneimitteln

30.06.2025

Nitrosamin-Verunreinigungen in Arzneimitteln sind seit Mitte 2018 bekannt. Swissmedic passt die Risikominderungsmassnahmen laufend dem neusten Stand von Wissenschaft und Technik an. Im internationalen Austausch wurden unter anderem der Carcinogenic Potency Categorisation Approach (CPCA) sowie der Enhanced Ames Test (EAT) etabliert. Diese wissenschaftlichen Methoden dienen dazu, das kanzerogene Potenzial von Nitrosaminen einzuschätzen und auf dieser Basis zulässige Aufnahmemengen (Acceptable Intakes, AI) festzulegen – auch in der Schweiz sind sie eine wesentliche Grundlage, um die Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Ziel ist es, das Risiko von Nitrosamin-Verunreinigungen möglichst vollständig auszuschliessen und gleichzeitig eine verlässliche Versorgung der Patientinnen und Patienten mit medizinisch notwendigen Arzneimitteln zu gewährleisten. Die Analytik zur Messung von Nitrosamine Drug Substance-Related Impurities (NDSRI) hat sich inzwischen stark verbessert. Abhängig von der gemessenen NDSRI-Menge und dem jeweils publizierten AI-Wert wird ein risikobasiertes Vorgehen empfohlen. Für Parallelimporte müssen Importeure während der gesamten Zulassungsdauer dieselben Anforderungen an Qualität und Sicherheit erfüllen wie die Inhaberinnen der Originalzulassung.

Bei der Analytik zur Bestimmung von NDSRI sind in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt worden. Inzwischen sind belastbare und reproduzierbare Messdaten verfügbar, die eine differenzierte Risikobewertung ermöglichen. Swissmedic gestaltet als Mitglied verschiedener internationaler Expertengruppen die wissenschaftlichen Grundlagen aktiv mit. AI-Werte stützen sich auf international harmonisierte Vorgaben (z. B. EMA/451665/2023).

Einreichung analytischer Daten

Je nach ermittelter NDSRI-Menge und den auf Basis des CPCA festgelegten und publizierten AI’s wendet Swissmedic folgendes abgestuftes Vorgehen an:

  • Alle Messwerte unter 10% des AI gelten als unbedenklich.
    In solchen Fällen ist keine spezifische Kontrollstrategie erforderlich, sofern die eingereichten analytischen Daten nachvollziehbar und methodisch solide dokumentiert sind. Die Daten werden durch die Abteilung Marktkontrolle Arzneimittel (MKA) geprüft (vgl. auch Q&A 14 EMA/409815/2020).
  • Alle Messwerte unterhalb des AI (Messwerte zwischen 10 % des AI und dem AI) erfordern eine formale Änderung (Variation) der Zulassung. Dabei muss eine geeignete Spezifikation sowie eine Kontrollstrategie zur Überwachung des NDSRI-Gehalts definiert und eingereicht werden.
  • Einzelne Messwerte oberhalb des AI werden als Out of Specification (OOS) gewertet, auch wenn formal noch keine Spezifikation festgelegt wurde.

In diesen Fällen müssen Gesuchstellerinnen bzw. Zulassungsinhaberinnen unverzüglich mit der Abteilung MKA Kontakt aufnehmen, um geeignete korrektive und präventive Massnahmen (CAPA) zu definieren sowie gegebenenfalls interimistische Grenzwerte (Interim Limits) festzulegen.


Festlegung von Grenzwerten (Acceptable Intakes)

  • Die Grundlage für NDSRI-Grenzwerte bildet der Acceptable Intake (AI) gemäss dem Carcinogenicity Potency Categorisation Approach (CPCA) (vgl. EMA/451665/2023, Appendix 2).
  • Die von der EMA veröffentlichten und international harmonisierten AI’s gelten als Referenzwerte (vgl. EMA/165331/2025/Rev. 9).
  • Abweichende Grenzwerte auf Basis experimenteller Daten oder mittels Read-Across-Analysen sind grundsätzlich möglich, bedürfen jedoch einer internationalen Abstimmung. Voraussetzung dafür, dass Swissmedic den Informationsaustausch mit der Nitrosamine Technical Working Group (NITWG) führen darf, ist die Zustimmung der Gesuchstellerin.
  • Die eingereichten Daten müssen Rückschlüsse auf Studienqualität und -durchführung ermöglichen; idealerweise werden vollständige Studienberichte zu experimentellen Daten eingereicht (insbesondere zum Ames-Test und zu in-vivo-Mutagenitätsstudien).
  • Positive in-vivo-Mutagenitätsdaten können derzeit nicht zur Ableitung erhöhter AI’s verwendet werden, stellen jedoch relevante Informationen im Rahmen einer evidenzbasierten Risikobewertung dar.
  • Für Nitrosoverbindungen, die nicht zu den Nitrosaminen zählen und für die bislang keine akzeptablen Aufnahmemengen (AIs) veröffentlicht wurden, sind Risikobewertungen nach den Vorgaben der ICH-M7-Richtlinie vorzunehmen.

Regulatorische Anforderungen bei Parallelimporten

Importeure von Arzneimitteln sind verpflichtet, während der gesamten Zulassungsdauer dieselben Anforderungen an Qualität und Sicherheit zu erfüllen wie die Zulassungsinhaberin des Originalpräparats (gemäss Art. 14 Abs. 2 Bst. b HMG). Auch nach der Markteinführung gelten für parallelimportierte Arzneimittel die gleichen Vorgaben hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit wie für das Originalpräparat oder ein gleichwertiges Referenzprodukt.

Treten beim Originalpräparat Sicherheitssignale oder Qualitätsmängel auf – etwa erhöhte Nitrosaminwerte –, kann Swissmedic die Importeurinnen verpflichten, risikominimierende Massnahmen analog umzusetzen, beispielsweise chargenspezifische Nitrosaminanalysen. Weitere Informationen dazu finden sich in der Wegleitung Einfuhr eines Humanarzneimittels nach Art. 14 Abs. 2 und 3 HMG (Parallelimport).


Risikobewertungen zu Nitrosaminen bei Neuzulassungen

Die Anforderungen zur Einreichung von Risikobewertungen zu Nitrosaminen wurden präzisiert und in der Wegleitung Formale Anforderungen aufgenommen. Risikobewertungen sollen auf dem aktuellen Wissensstand basieren.

Risikobewertung hinsichtlich Wirkstoff
  • Verpflichtend für alle Neuzulassungen mit chemisch-synthetischen Wirkstoffen oder Wirkstoffen mit synthetischen Komponenten.
  • Nicht-Einreichung ist zu begründen.
  • Nicht erforderlich für:
    • Tierarzneimittel
    • Co-Marketing-Arzneimittel
    • Arzneimittel zum Parallelimport
    • Radiopharmazeutika
Risikobewertung hinsichtlich Fertigarzneimittel
  • Verpflichtend für alle Neuzulassungen.
  • Nicht-Einreichung ist zu begründen.
  • Nicht erforderlich für:
    • Tierarzneimittel
    • Co-Marketing-Arzneimittel
    • Arzneimittel zum Parallelimport
    • Radiopharmazeutika
    • Komplementärarzneimittel ohne Indikation (Meldeverfahren)
    • Tees und Bonbons im Meldeverfahren

Die Unterlagen zur Risikobewertung sollten gemäss EMA Q&A (Frage 14) bevorzugt in Modul 1 als Additional information eingereicht werden.

Alternativ wird auch eine Platzierung im CTD-Kapitel 3.2.P.5.6 (Justification of specification) akzeptiert. In diesem Fall ist im Begleitschreiben auf die Platzierung hinzuweisen.

Seit dem Bekanntwerden von Nitrosamin-Verunreinigungen im Jahr 2018 haben Behörden und Hersteller zahlreiche risikomindernde Massnahmen umgesetzt – darunter Rückrufe, Anpassungen von Herstellungsprozessen und neue Risikobewertungen. Swissmedic arbeitet weiterhin eng mit internationalen Partnerbehörden und der Industrie zusammen, um Erkenntnisse zur Nitrosaminproblematik auszutauschen. Hersteller und Zulassungsinhaberinnen sind aufgefordert, ihre synthetischen Wirkstoffe und Arzneimittel mit potenzieller Nitrosylierungsanfälligkeit risikobasiert zu bewerten. Ziel ist es, auf wissenschaftlich fundierter Basis international koordinierte Massnahmen zu etablieren, um die Qualität von Arzneimitteln zu gewährleisten und gleichzeitig die kontinuierliche Versorgung der Patientinnen und Patienten mit therapeutisch notwendigen Medikamenten langfristig sicherzustellen.

Zugehörige Dokumente

* Die Verlinkungen verweisen auf die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gültigen Versionen. Es sind stets die aktuellen Versionen der entsprechenden Dokumente massgeblich.


Siehe auch