Kinderarzneimittel

Kinder und Arzneimittel

1. Einleitung

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie stellen eine besonders fragile Patientengruppe dar, da sie anders auf Arzneimittel reagieren. So bauen Säuglinge in der Regel Arzneimittel weniger schnell ab und scheiden sie auch weniger rasch aus. Es gibt zudem Arzneimittel, die Wachstum und Entwicklung beeinträchtigen können.

Solche und andere Besonderheiten müssen bei der Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln an Kinder berücksichtigt werden. Dazu kommt, dass Arzneimittel, die für Erwachsene entwickelt wurden, für Kinder häufig nicht geeignet sind. Kleinkinder können Tabletten meist nicht schlucken, und bei einem Sirup, der nicht gut schmeckt, verweigern sie die Einnahme.

2. Aktuelle Situation

Eine Anwendung bei Kindern ist nur dann behördlich anerkannt, wenn klinische Studien in der entsprechenden Altersgruppe durchgeführt wurden. Häufig werden neue Medikamente jedoch initial – oder gar überhaupt nur – ausschliesslich für Erwachsene entwickelt. Dieses Problem besteht weltweit.

Selbst für Arzneimittel, die schon länger auf dem Markt sind, gibt es häufig keine klinischen Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit in jüngeren Altersgruppen; dies gilt insbesondere für Neugeborene und Kleinkinder. Nicht selten fehlen darüber hinaus altersentsprechende Dosisstärken für Kinder, Kleinkinder und Säuglinge und/oder adäquate Darreichungsformen wie Suppositorien, Tropfen, Sirup, etc.

Die Gründe, warum für Erkrankungen im Kindesalter weniger in Forschung und Entwicklung investiert wurde, sind einerseits der kleinere Markt, andererseits sind Studien bei Kindern schwieriger realisierbar. Auch handelt es sich nicht um eine einheitliche Population (man vergleiche ein Frühgeborenes mit einem 15 Jahre alten Jugendlichen).

Ob ein Arzneimittel bei Kindern und Jugendlichen angewendet werden kann, ist der Arznei- mittelinformation zu entnehmen. Wenn entsprechende klinische Studien durchgeführt wurden, ist bei den in den letzten Jahren zugelassenen Arzneimitteln ein Hinweis für Medizinalpersonen (ÄrztInnen und ApothekerInnen) in der Fachinformation aufgeführt. Bei älteren Arzneimitteln war dies oft nicht der Fall, und hier fehlten häufig präzise Angaben zur Dosierung bei Kindern und Jugendlichen.

Dieses Problem wurde in den Jahren 2003-2009 bearbeitet, und heute sollten nahezu alle Arzneimittelinformationen adäquate Hinweise zur Anwendung in der Pädiatrie enthalten und erkennen lassen, ab welcher Altersgruppe die Anwendung in der Pädiatrie zugelassen ist. Es ist darauf hinzuweisen, dass eine Angabe zur Dosierung in Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht (mg/kg) weder einen Rückschluss auf die Verwendung bei Kindern und Jugendlichen noch auf die Zulassung des Arzneimittels für die pädiatrische Anwendung erlaubt.

In vielen Fällen müssen sich Kinderärzte/Kinderärztinnen bei der Verschreibung auf ihre persönliche praktische Erfahrung verlassen, da es für bestimmte Erkrankungen kein für die pädiatri- sche Anwendung entwickeltes Arzneimittel gibt und deshalb nur ein für Erwachsene zugelasse- nes Arzneimittel eingesetzt werden kann. Diese Art der Verschreibung (sog. off-label use) ist gemäss Heilmittelgesetz erlaubt, sofern die anerkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften beachtet werden.

Gerade in solchen Fällen gilt es aber im Interesse der Sicherheit dieser Anwendung, vermutete unerwünschte Wirkungen zu melden. Diese Meldung erfolgt mit dem auf der Homepage von Swissmedic erhältlichen Meldeformular an die regionalen Pharmacovigilancezentren (die Adressen sind dem Meldeformular zu entnehmen).

Die Eingangsstelle für SUSAR-Meldungen ist SUSAR@swissmedic.ch oder Swissmedic, Abteilung Klinische Versuche.

Es ist das CIOMS-Formular zu verwenden, vorzugsweise als elektronische Version (pdf) immer zusammen mit dem Begleitformular SUSAR.

Um die Durchführung klinischer Studien bei Kindern zu fördern, gewährt Swissmedic der pharmazeutischen Industrie auf Antrag eine verlängerte Schutzdauer ihres Arzneimittels, wenn sie eine Neuentwicklung im Zusammenhang mit der Anwendung bei Kindern betrifft.

Die seit 1.1.2013 gültige Gebührenverordnung sieht eine Reduktion von 90% bei den Gebühren für Arzneimittel mit ausschliesslich pädiatrischer Indikation für Zulassungen und für wesentliche Änderungen vor. Zu den wesentlichen Änderungen gehören zum Beispiel die Ergänzung einer Indikation, einer Dosierungsempfehlung oder einer Dosisstärke. Mit dieser Massnahme sollen Entwicklungen auf dem Gebiet der pädiatrischen Medikation gefördert werden.

Swissmedic hat die pharmazeutischen Unternehmen aufgefordert, alle pädiatrischen Studien, welche in den USA oder der EU zu einer Erweiterung der Anwendung bei Kindern (neue Indikation, neue galenische Form, neue Dosierungsempfehlung u.a.m.) geführt haben, mit einem entsprechenden Gesuch auch bei Swissmedic einzureichen. Obschon das schweizerische Heilmittelrecht die Zulassungsinhaberinnen/Pharmafirmen dazu nicht verpflichten kann, werden sie auf diesem Weg ersucht, entsprechende Gesuche im Sinne der Wahrnehmung ihrer Selbstverantwortung und im Interesse der Arzneimittelsicherheit bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen freiwillig einzureichen.

Im Weiteren überprüft Swissmedic bei der Evaluation eines Zulassungsgesuchs, ob die internationalen Empfehlungen zur Durchführung klinischer Studien in pädiatrischen Populationen berück- sichtigt wurden. In diesem Sinne wurde die NAS-Anleitung (Anleitung zum Einreichen von Zu- lassungsgesuchen für Arzneimittel der Humanmedizin mit neuen aktiven Substanzen) aufdatiert.

Bei der Entwicklung altersgerechter Darreichungsformen ist die EU Guideline on Pharmaceutical Development of Medicines for Paediatric Use‘ zu berücksichtigen.

3. Zukunft

In der Guideline E11 der International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) wird beschrieben, wann und in welcher Situation pädiatrische Daten eingereicht werden sollten.

Die Schweiz hat diese Guideline anerkannt. Weltweit sind von Behörden Initiativen gestartet worden mit dem Ziel, die Entwicklung und Markteinführung von Arzneimitteln für Kinder zu unterstützen. In den USA beispielsweise wurden neue gesetzliche Grundlagen geschaffen, mit denen die Durchführung klinischer Studien an Kindern gefördert wird. Diese Initiative war bisher sehr erfolgreich, und es wurden sowohl bei neueren als auch bei älteren Arzneimitteln klinische Studien an Kindern durchgeführt.

In der EU trat am 26. Januar 2007 ein Gesetz zur Verbesserung der Arzneimittelsituation in der Pädiatrie („Regulation of the European Parliament and of the Council on medicinal products for paediatric use and amending regulation”) in Kraft. Swissmedic setzt sich dafür ein, dass die pharmazeutischen Firmen auch hierzulande entsprechende Dokumente für den Einsatz in der pädiatrischen Population von Arzneimitteln vorlegen.

Im Rahmen der Revision des Heilmittelgesetzes sind u.a. gesetzliche Massnahmen für pädiatrische Arzneimittel vorgesehen.

Knapp fünf Jahre haben die Arbeiten zur Revision des Heilmittelgesetzes gedauert, als am 7. November 2012 der Bundesrat die Revisionsvorlage (E-HMG) samt Botschaft zuhanden des Eidgenössischen Parlaments verabschiedet hat. Das Bundesamt für Gesundheit, das für die Gesetzesrevision federführend ist, geht davon aus, dass das revidierte Gesetz auf den 1. Januar 2016 in Kraft tritt. Dieser vergleichsweise späte Zeitpunkt hat damit zu tun, dass nach der Schlussabstimmung im Parlament und vor dem Inkrafttreten des Gesetzes die notwendigen Anpassungen am Ausführungsrecht vorgenommen werden sollen.

Die Vorlage wird zur Zeit in der Kommission für Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) behandelt. Nach der diesjährig letzten Kommissionssitzung informierten die Parlamentsdienste (namens der SGK-N; vgl. Art. 48 ParlG [SR 171.10]) am 8. November 2013 über die Beratungsergebnisse. Aus der Medienmitteilung geht hervor, dass sich die Kommission mit 10 zu 8 Stimmen bei 5 Enthaltungen für den Vorschlag des Bundesrates ausgesprochen hat, der mit der Einführung eines pädiatrischen Prüfkonzeptes die Arzneimitteltherapie in der Kinderheilkunde verbessern will.

Künftig ist vor der Durchführung von klinischen Versuchen im Hinblick auf die Zulassung von Arzneimitteln deshalb neu ein pädiatrisches Prüfkonzept zu erstellen, das die Anforderungen an die Entwicklung des Arzneimittels in der Pädiatrie festlegt.

4. Definition Off- label Use / Unlicensed Use

Insbesondere in der Pädiatrie ist der "Off-label Use" sehr häufig, da keine für die Altersgruppe geprüften und zugelassenen Arzneimittel zur Verfügung stehen. Zusätzlich sind die galenischen Formen (wie Tabletten) in dieser Altersgruppe häufig nicht adäquat und es müssen spezielle Dosisstärken von Kapseln hergestellt werden.

Oft wird gemäss Erfahrung der Swissmedic der Begriff „Off-label Use“ mit "Unlicensed Use" synonym behandelt. Zur Klarstellung werden diese Begriffe nachstehend definiert:

Off-label Use Verwendung ausserhalb der in der Fachinformation aufgeführten Indikationen oder Altersgruppen oder Anwendungsempfehlungen (label)

 

Der Off-label Use liegt in der Verantwortung des jeweiligen Arztes / der Ärztin (Erhalt der Therapiefreiheit)

Unlicensed Use Verwendung von nicht zugelassenen Arzneimitteln

Die Behandlung mit nicht zugelassenen Arzneimitteln ausserhalb der durch das Heilmittelgesetz festgelegten Bestimmungen ist unzulässig.

Bei der Verwendung von nicht zulassungspflichtigen Arzneimitteln nach Artikel 9 Absatz 2 Heilmittelgesetz (HMG; SR 812.21) liegt kein "Unlicensed Use" vor.

Situation Anfang 2014.