In dieser Ausgabe
- Pharmareform der EU: Der Rat stellt die Weichen für ein modernes Arzneimittelrecht
- Zukünftige Entwicklungen im regulatorischen Umfeld – Roadmap 2025–2028
- FDA startet KI-Tool «Elsa» zur Optimierung interner Abläufe – Erste positive Erfahrungen aus Pilotphase
Pharmareform der EU: Der Rat stellt die Weichen für ein modernes Arzneimittelrecht
Am 4. Juni 2025 hat der Rat der Europäischen Union seine Position zur geplanten Überarbeitung des europäischen Arzneimittelrechts formell angenommen. Mit dieser Positionierung markiert die EU einen entscheidenden Schritt in Richtung eines modernisierten und resilienteren regulatorischen Rahmens für Humanarzneimittel. Es ist die erste umfassende Reform des EU-Arzneimittelrechts seit mehr als zwei Jahrzehnten – mit weitreichenden Konsequenzen für Arzneimittelregulierung, Versorgungssicherheit und Innovationsförderung in Europa.
Ziel der Reform ist es, ein besseres Gleichgewicht zwischen öffentlichem Gesundheitsinteresse und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Im Zentrum stehen vier Aspekte:
- Verbesserung der Verfügbarkeit von Arzneimitteln in der gesamten EU
- Förderung von Forschung, Entwicklung und industrieller Wettbewerbsfähigkeit
- Bekämpfung von Lieferengpässen
- Berücksichtigung ökologischer Aspekte in der Pharmaproduktion und -verwendung
Die vom Rat angenommene Position enthält eine Reihe zentraler regulatorischer Weichenstellungen. Der regulatorische Unterlagenschutz für neue Arzneimittel beträgt weiterhin acht Jahre, gefolgt von einem Jahr Marktexklusivität. Damit bleibt die Struktur des Schutzes geistiger Eigentumsrechte im Kern bestehen. Neu hinzu kommt jedoch die Möglichkeit, den Unterlagenschutz um ein weiteres Jahr zu verlängern – unter bestimmten Voraussetzungen.
Ein innovatives Element der Reform ist die Einführung sogenannter übertragbarer Exklusivitätsgutscheine für neuartige Antibiotika. Diese ermöglichen einem Pharmaunternehmen, die Marktexklusivität für ein anderes, bereits zugelassenes Medikament zu verlängern, wenn es ein neues, innovatives Antibiotikum entwickelt hat. Diese Gutscheine sollen gezielte Investitionen in antimikrobielle Forschung fördern und Anreize schaffen, um neue Wirkstoffe gegen Resistenzen zu entwickeln. Allerdings ist der Zugang zu diesem Instrument stark begrenzt: Einlösbar ist der Gutschein erst im fünften Jahr nach Zulassung und nur für Unternehmen mit einem vergleichsweise niedrigen Jahresumsatz in der EU (unter 490 Mio. Euro im Schnitt der vier Vorjahre).
Von besonderem Interesse aus regulatorischer Sicht sind die erweiterten Verpflichtungen zur Versorgungssicherheit. Die neue Regelung sieht vor, dass Mitgliedstaaten Unternehmen verpflichten können, eine kontinuierliche Verfügbarkeit bestimmter Arzneimittel sicherzustellen. Kommt eine Zulassungsinhaberin dieser Verpflichtung nicht nach, droht ihr der Entzug von Schutzrechten oder sogar der Widerruf der Zulassung. Ergänzt wird dies durch ein geplantes Frühwarnsystem auf europäischer Ebene, das Engpässe antizipieren und ein koordiniertes Gegensteuern ermöglichen soll.
Ein weiteres zentrales Element betrifft die sogenannte Bolar-Ausnahme. Diese soll Generika- und Biosimilarherstellern frühzeitig für den Markteintritt vorbereiten – auch im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen vor Ablauf bestehender Schutzfristen. Ziel ist es, Markteintrittsbarrieren zu reduzieren und die Verfügbarkeit kostengünstiger Alternativen zu fördern.
Die Reaktionen auf die Ratsposition fallen unterschiedlich aus. Während Fachorganisationen wie Regulatory Affairs Professionals Society (RAPS) die geplante Reform grundsätzlich positiv bewerten – insbesondere im Hinblick auf eine effizientere Regulierung und eine verbesserte Marktverfügbarkeit –, übt die europäische Industrievertretung EFPIA deutliche Kritik. Der Verband sieht in der Reform eine verpasste Chance, die Standortattraktivität Europas zu verbessern, und warnt vor negativen Auswirkungen auf Investitionen in Forschung und Entwicklung. Insbesondere die Änderungen im Bereich des geistigen Eigentumsschutzes könnten laut EFPIA den globalen Wettbewerb zulasten Europas verschärfen.
Im nächsten Schritt folgen die sogenannten Trilogverhandlungen zwischen dem Rat, dem Europäischen Parlament und der Kommission. Diese Verhandlungen werden massgeblich darüber entscheiden, wie die endgültige Ausgestaltung des neuen Pharmarechtsrahmens aussehen wird.
Mit der Annahme der Ratsposition zum Pharma Package hat die EU einen bedeutenden Schritt in Richtung einer zukunftsfähigen und krisenresilienten Arzneimittelregulierung gemacht. Die vorgeschlagenen Massnahmen adressieren zentrale Schwächen des bisherigen Systems – insbesondere in Bezug auf Lieferengpässe, regulatorische Fragmentierung und Innovationsanreize. Zugleich ist erkennbar, dass die politische Balance zwischen Versorgungssicherheit, Zugangsgerechtigkeit und Standortattraktivität noch nicht abschliessend gefunden ist.
Für Swissmedic ist die weitere Entwicklung dieses Dossiers von hoher Relevanz – nicht zuletzt im Hinblick auf bestehende Kooperationsmechanismen, Zulassungsstrategien international tätiger Unternehmen und mögliche regulatorische Konvergenzen. Eine enge Beobachtung des Trilogprozesses sowie eine vertiefte Analyse der Umsetzungsschritte wird empfohlen.
Zukünftige Entwicklungen im regulatorischen Umfeld – Roadmap 2025 bis 2034
Im Rahmen der strategischen Ausrichtung von Swissmedic ist es wichtig, die bevorstehenden Entwicklungen auf EU-, EMA- und internationaler Ebene im Blick zu behalten. Die folgende Übersicht zeigt zentrale Meilensteine und regulatorische Initiativen, die in den nächsten Jahren die Arzneimittel- und Gesundheitslandschaft prägen werden.
Roadmap 2025–2034
12. Januar: Inkrafttreten HTA-Verordnung, Start gemeinsamer Bewertungen
Februar und August: Artificial Intelligence Act (AIA) laufende Inkraftsetzung bis 2027
März: EHDS-Verordnung tritt in Kraft und markiert den Beginn der Übergangsphase
Ab Juni: COMBINE Programme EC (erstes von sieben Pilotprojekten)
1. Juli: Rechtswirksamkeit EU ATMP-Verordnung
Bis 2027: MHRA Data Strategy Implementation
Bis 2028: EMA-HMA Network Data Steering Group (NDSG)
Bis 2034: Data Standards, IT-Acquisition-Strategie, FDA (USA)
Annahme des Critical Medicines Act Proposals für Q4 erwartet
März: Frist für die Verabschiedung mehrerer wichtiger Durchführungsrechtsakte (EHDS)
Mitte 2027: Vollständige Anwendung der SoHO-Verordnung (EU 2024/1938)
Abschluss MHRA Data Strategy Implementation
EMA-Netzwerkstrategie «Seizing opportunities»
Voraussichtliches Inkrafttreten der Revision der EU-Arzneimittelgesetzgebung
Abschluss EMA-HMA Network Data Steering Group (NDSG)
Wesentliche Teile der EHDS-Verordnung treten in Kraft
Für die Primärnutzung sollte der Austausch der zweiten Gruppe vorrangiger Kategorien von Gesundheitsdaten in allen EU-Mitgliedstaaten funktionsfähig sein (EHDS)
Drittländer und internationale Organisationen können einen Antrag auf Teilnahme für die Sekundärnutzung stellen (EHDS)
Abschluss FDA IT-Acquisition-Strategie
FDA startet KI-Tool «Elsa» zur Optimierung interner Abläufe – Erste positive Erfahrungen aus Pilotphase
Die US-Arzneimittelbehörde FDA geht einen grossen Schritt in Richtung digitaler Transformation: Mit dem KI-Tool «Elsa» setzt sie seit Anfang Juni 2025 erstmals generative künstliche Intelligenz im behördenweiten Betrieb ein. Das Tool unterstützt die FDA-Mitarbeitenden bei der Verarbeitung wissenschaftlicher Informationen, Dokumentenanalysen und Bewertungen. Ziel ist es, interne Prozesse zu optimieren, wissenschaftliche Prüfungen zu beschleunigen und regulatorische Abläufe effizienter zu gestalten – unter Wahrung höchster Standards in Bezug auf Sicherheit und Datenschutz. Die Erfahrungen aus der Pilotphase zeigen: Der gezielte Einsatz von KI kann die FDA Mitarbeitenden spürbar entlasten und den Arbeitsalltag modernisieren.
Die Einführung löst eine erfolgreiche Pilotphase mit wissenschaftlichen Begutachter/innen ab, in der Elsa die Bearbeitung klinischer Studienprotokolle beschleunigte und konsistente Auswertungen ermöglichte.
Elsa basiert auf einem grossen Sprachmodell (LLM) und wurde speziell für die Anforderungen der FDA innerhalb einer GovCloud-Umgebung entwickelt. Alle Daten bleiben intern – sensible Informationen aus der Industrie oder vertrauliche Zulassungsdossiers werden nicht zum Training des Modells verwendet. Die ersten Anwendungsbereiche von Elsa umfassen:
- Zusammenfassungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen zur Unterstützung von Sicherheitsbewertungen;
- Schnellvergleiche von Arzneimittelkennzeichnungen;
- Textgenerierung für Berichte und interne Kommunikation;
- Codegenerierung für den Aufbau nicht-klinischer Datenbanken;
- Identifikation von Inspektionszielen mit hoher Relevanz.
Jeremy Walsh, Chief AI Officer der FDA, bezeichnete die Einführung von Elsa als «Beginn einer neuen Ära, in der KI als produktives Werkzeug zur Entlastung und Unterstützung von Fachpersonal eingesetzt wird.» Die Weiterentwicklung des Tools soll eng an den praktischen Erfahrungen der Mitarbeitenden ausgerichtet werden.
Die FDA plant bereits, Elsa als Teil einer breiteren KI-Strategie weiter auszubauen – unter anderem durch die Integration von datenverarbeitenden und generativen Funktionen in anderen regulatorischen Prozessen.
Die Initiative zeigt eindrücklich, wie eine öffentliche Gesundheitsbehörde KI verantwortungsvoll, sicher und zielgerichtet einsetzen kann, um Innovationsfähigkeit und Effizienz gleichermassen zu stärken. Gleichzeitig macht der Einsatz des KI-Tools Elsa deutlich, dass Themen wie Ergebnisverlässlichkeit, rechtssichere Integration sowie Vertrauen und Akzeptanz weiterhin besondere Aufmerksamkeit erfordern.
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