
Gendermedizin: Mehr als ein Trend
Forschung und Patientensicherheit durch geschlechtersensible Medizin stärken
Neue Medikamente haben das Potenzial, die Lebensqualität vieler Patientinnen und Patienten deutlich zu erhöhen. Oder vielleicht sogar, ihre Erkrankung zu heilen. Während Betroffene in den USA, in Deutschland oder Österreich jeweils zeitnah von einem neuen Arzneimittel profitieren, dauert es in der Schweiz oft länger, bis das gleiche Präparat auf dem Markt erhältlich ist. «Diese Verzögerung stösst bei Betroffenen auf Unmut», sagt Eveline Trachsel, die den Bereich Zulassung und Vigilance Arzneimittel bei Swissmedic leitet. Sie hat grosses Verständnis für ihre Ungeduld: «Viele dieser Präparate wecken Hoffnungen – Betroffene wollen sie möglichst rasch zur Verfügung haben.» Wann ein Medikament in der Schweiz auf den Markt komme, liege jedoch nicht nur in den Händen von Swissmedic, sagt Eveline Trachsel. «Entscheidend ist der Zeitpunkt, wann ein Pharmaunternehmen das Gesuch für die Zulassung in der Schweiz einreicht.» Und da stehe der kleine Schweizer Markt meist nicht an erster Stelle.
Submission Gap – so nennt die Fachwelt diese Verzögerung zwischen Einreichung bei der ersten Behörde (oft der amerikanischen FDA) und bei Swissmedic. Pharmafirmen geben die Gesuche für die Marktzulassung neuer Medikamente je nach Land und Region zu einem anderen Zeitpunkt bei der jeweiligen Behörde ein. Sie bevorzugen dabei einzelne Märkte und konzentrieren sich zunächst auf jene Regionen, in denen sie möglichst viele Patientinnen und Patienten erreichen. Die Folge davon: Innovative Arzneimittel sind in bestimmten Ländern später erhältlich. Häufig auch in der Schweiz. An erster Stelle stehe meist die FDA, die Zulassungsbehörde der USA, sagt Eveline Trachsel. Auch in der EU erreichten Firmen sehr viele Patientinnen und Patienten. Die Schweiz komme oft erst später zum Zug.
Um den Submission Gap zu entschärfen oder gar zu vermeiden, verfolgt Swissmedic zwei Strategien. Zum einen sei man in engem Austausch mit Industrieverbänden, um die Prozesse noch schneller und transparenter zu gestalten. «Zum anderen versuchen wir, den Schweizer Markt attraktiver zu gestalten», sagt Eveline Trachsel. Besonders bei den internationalen Zulassungsverfahren sieht sie viel Potenzial, um den Submission Gap zu verkleinern.
Bei den Zulassungsverfahren Access und Orbis (siehe Kasten) spannen jeweils mehrere Länder zusammen, um ein Zulassungsgesuch gleichzeitig (Orbis) oder gemeinsam (Access) zu begutachten. Dies ermögliche einen intensiven wissenschaftlichen Dialog unter den Behörden, sagt Eveline Trachsel. Schliesslich entscheide jedes Land für sich, ob es ein Arzneimittel zulasse oder nicht. Dadurch wird sichergestellt, dass die Schweizer Gegebenheiten in jedem Fall berücksichtigt werden können.
Tatsächlich führten Access und Orbis dazu, dass Firmen die Gesuche schneller bei Swissmedic einreichten, sagt Eveline Trachsel: «Über Orbis erhalten wir Gesuche für Krebsmedikamente mit nur 30 Tagen statt einem Jahr Verzögerung.» Mit Access verringere sich der Submission Gap pro Gesuch durchschnittlich von 350 auf 100 Tage. Auch werden immer mehr Zulassungsgesuche über diese Verfahren eingereicht: Im Jahr 2024 gingen rund zehn Prozent aller Gesuche für neue Substanzen über Access bei Swissmedic ein. «Es gibt aber noch Luft nach oben», sagt Eveline Trachsel, «ich hoffe, dass die internationale Gemeinschaft die Digitalisierung weiter vorantreibt, um in Zukunft noch einfacher und enger zusammenzuarbeiten.» Dazu brauche es jedoch sichere Plattformen und in jedem einzelnen Land politische Bestimmungen, die es erlaubten, diese gemeinsamen Tools zu nutzen.
Nun gelte es, diese Zulassungsverfahren bekannter zu machen, sagt Eveline Trachsel. Die Pharmafirmen seien grundsätzlich sehr interessiert: «Sie erreichen auf einen Schlag viel mehr Patientinnen und Patienten.» Auch der Aufwand reduziere sich für die Firma, weil die Behörden der einzelnen Länder ihre Fragelisten zum Gesuch jeweils gemeinsam einreichten. «Schliesslich haben alle Beteiligten dasselbe Ziel: sichere, wirksame und qualitativ hochstehende Arzneimittel möglichst schnell zur Verfügung zu stellen.»
Gar nichts, im Gegenteil: Kommt ein Zulassungsgesuch rein, sind wir dank effizienter und transparenter Prozesse ähnlich schnell wie die europäische Heilmittelbehörde EMA. Dies zeigen auch die regelmässigen Benchmarks – da zählen wir zu den sechs führenden Zulassungsbehörden der Welt.
Nicht nur: Nach einer Zulassung müssen Medikamentenpreise und Kostenübernahmen verhandelt werden. Dies kann je nach Land bis zu zwei Jahre dauern. Schnell geht es in Deutschland, wo eine «Tag-null»-Vergütung gilt: Neue Arzneimittel kommen sofort nach der Zulassung auf den Markt, mit einem provisorischen Preis. In der Schweiz wird diese Möglichkeit für gewisse Medikamente diskutiert. Preisverhandlungen liegen jedoch nicht in der Zuständigkeit von Swissmedic.
«Wir sind sehr schnell.»
Im Jahr 2024 erreichten wir beispielsweise einen Erfolg für Diabetesbetroffene: Wir konnten als erste Behörde weltweit ein Insulinpräparat zulassen, das nur noch einmal pro Woche verabreicht wird. Dies war möglich, weil wir über Access das Gesuch gemeinsam mit zwei weiteren Ländern begutachteten: Wir teilten die einzelnen Module des Dossiers unter uns auf. Nach intensiven Gesprächen und gemeinsamer Begutachtung entschieden wir, das Medikament zuzulassen. Ohne Access hätten wir das Gesuch wohl nicht so früh erhalten.
Nein, dies wäre nicht im Sinn der Patientensicherheit. Wir setzen uns dafür ein, dass die Schweizer Gegebenheiten in jedem Fall berücksichtigt werden können, deshalb ist ein eigenständiger Entscheid auch nach gemeinsamer Begutachtung äusserst wichtig. Und als Pharmastandort Nummer eins in Europa braucht die Schweiz eine unabhängige und kompetente Zulassungsbehörde, die auch die Arzneimittelsicherheit gewährleisten kann.