Inspektionen im Ausland «Wir finden nur die Mängel, die wir suchen»

Inspektorin Rosmarie Neeser kontrolliert für Swissmedic Arzneimittelfabriken in Indien und China. Bei ihrer Arbeit erlebt sie oft Faszinierendes und Schockierendes zugleich.

Rosmarie Neeser, mit welchem Land beschäf­tigen Sie sich aktuell als Inspektorin?

Mit Indien. Wir wollen eine indische Firma inspizieren, die einen Wirkstoff in die Schweiz liefert. Manchmal ist es jedoch gar nicht so einfach, eine solche Fabrik zu lokalisieren.

Weshalb?

Weil es in Ländern wie Indien und China keine Handelsregister gibt. Die Fabrik, bei der wir aktuell eine Inspektion planen, hat laut Google Earth allein in der Stadt Visakhapatnam sechs Standorte mit je 1000 Mitarbeitenden. Welche der vielen Unterfirmen stellt diesen Wirkstoff her? An welchem Standort? In welchem Gebäude? Die Schweizer Firmen, die die Zulassung für den Wirkstoff haben, konnten uns bisher keine eindeutige Auskunft dazu geben. Manchmal finden wir auch Schattenfabriken, die den gesuchten Wirkstoff herstellen, aber nicht in den Zulassungsunterlagen bei Swissmedic gemeldet sind.

Gleicht Ihre Arbeit jener einer Detektivin?

Manchmal schon! Wir müssen über den Tellerrand hinausdenken und auch an vordergründig unmöglichen Stellen suchen. Schwachstellen finden wir überall. Einige von ihnen könnten jedoch gravierende Folgen haben. Wir müssen auch immer wieder sprachliche und kulturelle Hürden überwinden. Wir müssen die Codes der Menschen vor Ort erkennen und angemessen darauf reagieren.

Können Sie in Indien einfach so in eine Fabrik hineinspazieren und diese inspizieren?

Nein. Wir brauchen ein Visum – und um dieses zu erhalten, benötigen wir eine Einladung der indischen Firma. Die Firmen behindern unsere Kontrollen fast nie, denn sie wissen, dass sie die Voraussetzungen für die Zulassung sonst nicht mehr erfüllen. Für viele Firmen ist die Inspektion auch eine grosse Chance. Denn wenn alles okay ist, stellen wir ihnen das GMP-Zertifikat aus. Die Abkürzung steht für «Good Manufacturing Practice», übersetzt «Gute Herstellpraxis».

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Verrostete Fässer
Richard Weissmahr
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Besprechung
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das Komitee
In der Schweiz erhalten Firmen innerhalb des «Compliance Management»-Prozesses Zeit, um allfällige Mängel zu beheben. Geben Sie diese Chance auch indischen oder chinesischen Firmen?

Das kann durchaus vorkommen. Im Jahr 2023 fiel uns beispielsweise bei einer Kontrolle in einer indischen Fabrik auf, dass die leitenden Mitarbeitenden es vermieden, uns in gewisse Produktionsräume zu begleiten. Uns war sofort klar: Sie wissen, dass es hier giftig ist. Es gab nirgends Schleusen – die hochaktiven Substanzen gegen Krebs, die sie hier produzierten, konnten also verschleppt werden. Die Prozesse waren nicht geschlossen und die Mitarbeitenden entfernten die hochgiftigen Substanzen mit einer Handschaufel aus der Zentrifuge.

Wie konnten Sie Ihren Verdacht beweisen?

Wir brachen den Rundgang ab. Als ich danach die Dokumentation prüfte, fiel mir ein gelber Fleck auf dem Papier auf. Gelb – genau wie der hochaktive Wirkstoff! Ich rannte, um mir sofort die Hände zu waschen. Tatsächlich wies unser Labor später den hoch toxischen Wirkstoff auf dem Blatt nach. Auch hatte mein Kollege am nächsten Tag einen Ausschlag am Kopf. Da in der Fabrik alle anderen Auflagen erfüllt waren, gaben wir ihr die Chance, die Produktion so umzubauen, dass keine Kontamination mehr möglich ist. Auch das kontrollieren wir nach. Wenn sie jedoch ihre Mitarbeitenden oder die Umwelt mit hoch toxischen Substanzen gefährden, können wir nichts tun.

Sie schauen also in solchen Situationen weg?

Leider ja. Tatsächlich haben wir kein Mandat, um Umwelt- oder Sozialstandards zu überprüfen – dies ist eine politische Entscheidung. Globale Standards würden da enorm helfen, doch davon sind wir noch weit entfernt. Das ist belastend, uns sind die Hände gebunden. Ich kann nur Einfluss nehmen auf Mängel, die sich auf die Qualität der Arzneimittel auswirken: beispielsweise die Sauberkeit in und um die Fabrik. Ich erlebe auf meinen Reisen Schockierendes, aber auch Faszinierendes. Ich sehe extreme Armut, Abfall und verschmutzte Flüsse, aber auch Firmen, die dank ihrem Unternehmergeist und Umweltbewusstsein viel Erfolg haben.

Swissmedic inspiziert erst seit gut zwei Jahren auch im Ausland. Ihr Fazit?

Wir inspizierten schon davor im Ausland, allerdings in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen, beispielsweise mit WHO (World Health Organization) oder EDQM (European Directorate for the Quality of Medicines and Health Care). Was uns immer wieder auffällt: In Schwellenländern ist der Unterschied zwischen ganz guten und ganz schlechten Firmen viel grösser als in der Schweiz. Umso wichtiger ist es, auch an verborgene Stellen zu blicken und wirklich alle Bereiche zu prüfen. Denn wir finden nur jene Mängel, die wir suchen. Entscheidend ist, dass die Inspektorinnen und Inspektoren hoch qualifiziert, erfahren und von Swissmedic entsprechend ausgebildet sind.