Nachgeforscht

Für sichere und qualitativ hochstehende Arzneimittel Jede Frage zählt

Wie muss die Apothekerin im Hitzesommer ein Schmerzmittel lagern? Darf eine Tablette zerteilt oder gemörsert werden? Jährlich erreichen Swissmedic über 8000 Anfragen aus der Öffentlichkeit. «Wir nehmen jede einzelne Frage sehr ernst», sagt Ulla Grauschopf. Wie ernst, zeigt uns die Leiterin der Abteilung «Quality Assessment» vor Ort.

Wer bei Swissmedic durch die modernen Gänge und Räume geht, wird von Ehrfurcht ergriffen. Denn die enorme Dichte an Wissen und die hohe Anzahl hochgebildeter Menschen, die sich an den drei Standorten in Bern auf kleinem Raum vereinen, sind geradezu spürbar. Die meisten von ihnen kommen aus den exakten Wissenschaften, viele haben eine universitäre Ausbildung, bringen Erfahrung in der Forschung und der Medikamentenentwicklung mit. Sie sind Biochemiker oder -medizinerinnen, Pharmazeuten, Mikrobiologinnen, Molekularbiologen, Chemiker, Toxikologinnen, Mediziner oder Ingenieurinnen. Im Mittelpunkt ihrer Gespräche: Arzneimittel und deren Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit.

Dies ist auch in der heutigen Besprechung im Hauptsitz in der Berner Länggasse der Fall: Hier sitzt das erweiterte Leitungsteam der Abteilung «Quality Assessment» von Swissmedic und diskutiert Anfragen, die in der vorangegangenen Woche von Pharma­firmen, dem Gesundheitswesen, der Politik oder von Privatpersonen an Swissmedic herangetragen worden sind. Fragen stellen dürfen alle – von der Apothekerin über die Beratungsfirma bis hin zu besorgten Eltern.

Biochemikerin Ulla Grauschopf, die nach mehreren Jahren Grundlagenforschung 17 Jahre lang in der pharmazeutischen Entwicklung einer grossen Pharmafirma gearbeitet hat, leitet die wissenschaftlich hochkarätig besetzte Abteilung. Sie sei gespannt, zu welchen Themen das Team heute Fragen beantworten dürfe, sagt sie, und legt nach kurzer Begrüssung die erste Anfrage vor:

Ulla Graushopf, Leiterin der Abteilung Quality Assessment
Anfrage 1: Eine Pharmafirma will wissen, ob es Swissmedic begrüsse, wenn sie mit dem Zulassungsgesuch jeweils auch «Notes to Reviewer» eingibt.

Es folgt ein ausführlicher Austausch zur Nützlichkeit von «Notes to Reviewer» – sie sind eine Art Zusammenfassung dessen, was im umfangreichen Zulassungsgesuch steht. Fazit: Die Informationen sind für die Begutachtung zwar nicht zwingend, aber hilfreich, weil sie auf einen Blick aufzeigen, worum es geht. Die Antwort des Teams an die Pharmafirma: «Wir fordern sie nicht aktiv ein, aber es wäre schade, wenn sie weggelassen würden.»

So exakt Swissmedic-Mitarbeitende Zulassungsgesuche für Medikamente prüfen, so gewissenhaft beantworten sie die unterschiedlichsten Anfragen, die bei der Behörde eingehen. «Unsere Teams nehmen jede Frage gleich ernst und diskutieren sie differenziert – ganz unabhängig davon, wer sie gestellt hat oder worum es geht», sagt Ulla Grauschopf. Pro Jahr verfassen die Teams der Swissmedic mehr als 10 000 Antworten. In der 36-köpfigen Abteilung «Quality Assessment» landen nach der Triage rund fünf komplexe Fragen pro Woche. Das Kerngeschäft – das Begutachten von Zulassungsgesuchen – qualifiziere die Mitarbeitenden, Fragen äusserst kompetent zu beantworten, so die Abteilungsleiterin.

Bei Anfrage 2 wird es kompliziert: Eine andere Abteilung hat ihrerseits eine Antwort auf eine externe Anfrage geschrieben. Nun möchte sie wissen, ob diese aus Sicht der Qualitätsabteilung korrekt formuliert ist. Es geht um komplexe Zulassungsprozesse und die Frage einer Pharmafirma, weshalb diese so und nicht anders ablaufen.

Fazit: Das Leitungsteam diskutiert die eigenen Prozesse und merkt dabei, dass die Swissmedic-Wegleitung nicht klar genug formuliert ist. Sie will man nun anpassen.

«Es kommt immer wieder vor, dass Anfragen einen Dialog im Team anstossen, der dazu führt, dass wir unsere Prozesse hinterfragen und verbessern», sagt Ulla Grauschopf. Denn je klarer Swissmedic ihre Anforderungen an die Qualität der Arzneimittel dokumentiere, desto sicherer sei es, dass Hersteller sie von Anfang an einhielten. «Wir pflegen im Rahmen der Gesuchsbearbeitung einen intensiven Austausch mit den Pharmafirmen», stellt Ulla Grauschopf klar. Dies sei auch bei offenen Fragen im Zulassungsprozess eines Medikaments wichtig. «Wir tragen am Ende dazu bei, dass Medikamente immer sicherer werden.» Diese grosse gesellschaftliche Verantwortung sei sehr motivierend für alle Mitarbeitenden des Teams: «Die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit ist enorm hoch.»

André Nick
André Nick
Michaela Hör
Michaela Hör
Bernhard Spörri
Bernhard Spörri
Martin Leu
Martin Leu
«Die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit ist enorm hoch.»
Ulla Grauschopf
Die dritte Anfrage kommt aus der Bevölkerung: Ein Ingenieur in Klimatechnik fragt, weshalb viele Medikamente bei maximal 25 Grad gelagert werden müssten. Er schreibt in seiner E-Mail: Dies führe dazu, dass Arztpraxen und Apotheken im Sommer stark gekühlt würden, was nicht sehr klimafreundlich sei.

Die Antwort des Leitungsteams: Medikamente nehmen Schaden, wenn sie zu heiss – oder zu kühl – gelagert werden. Die Anwesenden führen in ihrer Antwort aus, dass die Pharmafirmen die Lagerungstemperaturen nicht willkürlich, sondern entsprechend ihrer Studien festlegen, die internationale Richtlinien erfüllen. Und dass Swissmedic die angegebene Temperaturspanne bei der Zulassung zusätzlich überprüft. Das Team informiert auch über die möglichen Folgen: Ein falsch gelagertes Arzneimittel kann die Wirkung teilweise oder ganz verlieren. Es können Abbauprodukte entstehen, die giftig sind. Auch zu tiefe Temperaturen oder die falsche Luftfeuchtigkeit können sich negativ auf die Qualität auswirken.

Anfragen zu Lagerungsbedingungen wie Temperatur oder Luftfeuchtigkeit gelangen oft ans Qualitätsteam von Swissmedic. Trotz der klaren Ausgangslage beantwortet es jede Anfrage sehr ausführlich, denn das Thema sei wichtig. Beziehen sich die Fragen auf spezifische Produkte, hält sich das Team laut Senior Assessorin Michaela Hör an die – von Swissmedic geprüften – Daten in ihrer Fachdatenbank.

Patientinnen und Patienten, aber auch Ärzte stellten strenge Lagerungsbedingungen oft infrage, ohne sich der Folgen bewusst zu sein, sagt Bernhard Spörri, Einheitsleiter «Synthetika 1»: Viele glaubten, dass Pharmafirmen aus wirtschaftlichen Gründen möglichst enge Temperaturspannen angäben, so- dass mehr Medikamente weggeworfen würden. «Es ist jedoch im Interesse der Firma, dass der Temperaturbereich möglichst gross ist, denn sonst werden Lagerung und Transport beschwerlicher und teurer.»

Dieselbe Problematik gilt bei der Haltbarkeit eines Arzneimittels: «Die Meinung, dass Firmen die Haltbarkeit aus wirtschaftlichen Gründen tiefer als möglich angeben, hält sich hartnäckig», sagt Einheitsleiter «Biologika» Martin Leu. Auch hier sei meist das Gegenteil der Fall: «Die Wirkstoffe sind oft nur schwer erhältlich und entsprechend teuer, und die Logistik ist sehr zeitintensiv», sagt Senior Assessor René Gysin. Je kürzer die Haltbarkeit, desto grösser sei daher das Risiko für den Hersteller, dass er ein Medikament vor dessen Verkauf entsorgen müsse.

Anfrage 4: Eine Apothekerin fragt, ob sie eine Diphtherie- und Tetanusimpfung, die zwei Monate zuvor abgelaufen sei, noch nutzen dürfe.

Abgelaufene Medikamente müssen zwingend entsorgt werden. «Da haben wir absolut keinen Spielraum», sagt Richard Weissmahr, Einheitsleiter «Synthetika 2». Im besten Fall wirke ein Medikament nach der abgelaufenen Haltbarkeit nicht mehr. André Nick, Senior Quality Assessor, ergänzt: «Wenn sich ein Inhaltsstoff bei der Lagerung zersetzt, entstehen immer auch Abbauprodukte, die unter Umständen gar toxisch sind. In der Chemie entsteht immer etwas Neues, wenn sich ein Stoff zersetzt.» Dies sehe man einer Tablette oder einem Sirup jedoch meist nicht an.

Alle Fragen sind geklärt, die Sitzung ist beendet. Das wöchentliche Beantworten der Anfragen beanspruche nur einen kleinen Teil ihrer Arbeit, sagt Ulla Grauschopf, «aber es ist ein wichtiger Teil, der zu unserem öffentlichen Auftrag gehört. Wir sind stolz darauf, eine nahbare und transparente Behörde zu sein». Sie mag die wöchentlichen Diskussionsrunden: «Die Vielfalt an Arzneimitteln ist so gross – wie bei unseren Begutachtungen werden wir deshalb täglich von neuen Fragestellungen überrascht.» Routine gebe es wenig. Die Arbeit sei enorm vielseitig – gerade weil sich die Abteilung Quality Assessment mit dem gesamten Prozess von der Entstehung des Wirkstoffs bis zum fertigen Arzneimittel befasse. «Das macht den Job so unglaublich spannend.»

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Schicken Sie diese an anfragen@swissmedic.ch.

Ulla Grauschopf
Ulla Grauschopf
Richard Weissmahr
Richard Weissmahr
Ingo Matthes
Ingo Matthes