Begleitet

Swissmedic bei der Stiftung Inartis in Renens Vom «notwendigen Übel» zum Partner

Die Abteilung Advanced Therapy Medicinal Products (ATMP) von Swissmedic hat sich zum Ziel gesetzt, Start-ups und Forschungsinstitute zu unterstützen – damit diese nicht an regulatorischen Hürden scheitern, wenn sie innovative und sichere Therapien möglichst schnell auf den Markt bringen wollen. Julia Djonova, Leiterin der Abteilung, steht in engem Austausch mit den Firmen und besucht sie regelmässig vor Ort. Visible hat sie nach ­Renens (VD) zu einem Treffen mit ihren beiden Partnern der Stiftung Inartis, Benoît Dubuis und Juliette Lemaignen, begleitet.

Nicht alles läuft wie geplant an diesem Morgen. Zuerst wird der Ort für den Besuch von Julia Djonova geändert. Ärgerlicher ist für sie, die nie auf ihren Morgenkaffee verzichtet, der geschlossene Speisewagen im InterRegio zwischen Bern und Lausanne. Doch die Leiterin der Abteilung ATMP von Swissmedic lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. «In der Welt der Start-ups und der Innovation ist Unvorhergesehenes an der Tagesordnung. Damit muss man leben können und die Vorteile kreativ nutzen» – sagt sie und nimmt eine Wasserflasche aus ihrer Handtasche: «Koffein ist ohnehin ungesund...».

Dass der Tag früh beginnt, ist für Julia Djonova, die einen Doktortitel in Medizin hat, nichts Besonderes. Swissmedic hat ein neues Innovationsbüro geschaffen, das Jungunternehmen und Forschungsinstituten unter die Arme greifen und dafür sorgen soll, dass sie innovative und sichere Behandlungen rasch auf den Markt bringen können, ohne durch regulatorische Hürden gebremst zu werden. Swissmedic hat festgestellt, dass Start-ups mit teilweise revolutionären ATMP-Projekten häufig nicht vorankommen, weil sie über die regulatorischen Anforderungen zu wenig Bescheid wissen. Deshalb wird das Innovationsbüro von Swissmedic sich zunächst auf diesen Bereich konzentrieren und so praxisnah wie möglich arbeiten. Zur Erinnerung: ATMP sind Produkte, die auf Genen, Geweben oder Zellen basieren.

Julia Djonova wünscht sich Feedback von Institutionen und Unternehmen, die von ihrer Abteilung unterstützt wurden, und macht sich deshalb regelmässig vor Ort ein Bild. Ihr Tagesziel: ein Erfahrungsaustausch mit Benoît Dubuis, Präsident der Stiftung Inartis, Präsident der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) und ehemaliger Direktor des Campus Biotech in Genf. Die Stiftung ist Teil des Innovationsparks StationR in einem ehemaligen Industriequartier der Ortschaft Renens (VD) und realisiert verschiedene Programme zur Innovations- und Unternehmensförderung, insbesondere im Bereich Life Sciences, wie die Business Hubs StationR/UniverCité in Renens, Espace Création in Sion und Health Valley. Als das Innovationsbüro Anfang 2023 beschloss, seine neuen Angebote zur Begleitung von Unternehmen zu testen, war es naheliegend, dass Swissmedic den dynamischen Walliser kontaktierte und ihm die Umsetzung von Pilotprojekten anvertraute.

Ein Raum des Kompetenzaustausches

Beim Bahnhof Renens warten zwei Autos. Im ersten sitzt Benoît Dubuis am Steuer, der seine Gäste persönlich abholt. Im zweiten Juliette Lemaignen, die bei der Stiftung Inartis für den operativen Bereich zuständig ist. Weniger als eine halbe Stunde später sitzt der Besuch aus der Bundeshauptstadt in einem geräumigen, farbenfrohen Besprechungsraum mit dem Namen Gaston Lagaffe. «Wir sind keine Innovationsverwalter, sondern Leute aus der Praxis, Unternehmer», lanciert Benoît Dubuis das Gespräch. Und schon steht er auf und bittet Julia Djonova, die inzwischen ihren langersehnten Kaffee trinken konnte, mit ihm das Labyrinth aus Gängen der ehemaligen Druckerei zu erkunden.

«StationR ist vor allem ein Raum des Kompetenzaustausches», erklärt der Gastgeber, der einen Doktortitel in Technischen Wissenschaften der ETH Zürich besitzt. Hier kommen Leute aus vielfältigen Bereichen zusammen: Making, Design, Engineering, Doktorierende, Studierende, Start-ups, Spin-offs oder «ganz einfach Leute mit Unternehmergeist und einer Projektidee». Derzeit arbeiten mehr als 1200 Personen in den Hallen, Sälen und Büros, die ein Industrie-Flair ausstrahlen. «Wir haben hier rund siebzig Unternehmen, darunter mehrere aus den Branchen Medtech, Biotech oder Chemie.» Die Stiftung Inartis hat dieses System initiiert und wirkt nun sowohl als Bindeglied als auch als Inkubator. Das Programm MassChallenge Switzerland, an dessen Lancierung die Stiftung 2016 mitwirkte, hat zum Beispiel die Aufgabe, innovative Projekte aus der ganzen Welt zu selektionieren und voranzutreiben.

«In der Welt der Start-ups und der Innovation ist Unvorhergesehenes an der Tagesordnung.»
Julia Djonova
Benoît Dubuis
Benoît Dubuis
Julia Djonova
Julia Djonova
Über den Tellerrand hinaus

Ultra-innovative Start-ups, vor allem aus der Biotechnologie, trifft Benoît Dubuis seit Jahren fast täglich, sei es als Mentor oder als Gründer. Er selber hat mehrere Unternehmen gegründet. «Häufig widmen sich Forschende und Unternehmer in Start-ups so intensiv der Wissenschaft und der Kapitalbeschaffung, dass sie Qualitäts- und Regulierungsaspekte vernachlässigen», erzählt er. «Hinzu kommt, dass es ihnen in der Regel auch an Kompetenzen in diesem Bereich fehlt.»

«Erst später, oft während der Produktentwicklung, beschäftigen sie sich mit diesen Fragen.» Dann ist der Aufwand jedoch grösser, und sei es nur in finanzieller Hinsicht. «Wenn man eine Vorstellung davon hat, was die Behörden verlangen, kann man die regulatorischen Schritte besser planen, beziffern und budgetieren.» Umgekehrt weiss er von Unternehmen, die ein böses Erwachen erlebten, weil sie den regulatorischen Teil ihres Projekts vernachlässigten.

Die Unterstützung der Abteilung ATMP lobt Benoît Dubuis als «extrem hilfreich». Er geht noch weiter: «Swissmedic kann stolz darauf sein, dass es gelungen ist, ein Vertrauensverhältnis zu den Start-ups aufzubauen.» Denn lange Zeit wurden die Regulierungsbehörden sehr negativ wahrgenommen. Diese Situation hat sich verbessert, «Swissmedic wird aber von vielen Forschungsinstituten und Unternehmen nach wie vor als ‹notwendiges Übel› angesehen.» Dank der Arbeit von Julia Djonova und ihrem Team «sind wir dabei, das Image des ‹notwendigen Übels› durch den Eindruck einer Partnerschaft zu ersetzen».

Win-win

Eine Partnerschaft bedeutet für alle eine Win-win-Beziehung. Swissmedic kann damit Patientinnen und Patienten rasch Zugang zu modernen und innovativen Behandlungen verschaffen, ohne Abstriche bei der Qualität und Sicherheit zu machen. «Aber auch für die Start-ups hat die enge Zusammenarbeit mit den Regulierungsbehörden viele Vorteile», ist er überzeugt. «Ein solides Qualitätsmanagement ist nicht nur Garant für eine sichere, gesetzeskonforme Produktion, sondern gibt auch Orientierungspunkte für Forschung und Entwicklung.» Zudem hat es den Vorteil, dass «an dem Tag, an dem solche Start-ups mit einer Prüfung und Analyse, einer sogenannten Due Diligence, im Hinblick auf eine Übernahme konfrontiert sind, bereits alles ausführlich dokumentiert ist».

Zu den weiteren Vorteilen einer frühzeitigen und proaktiven Zusammenarbeit mit den Regulierungsbehörden zählt der Innovationsexperte die potenzielle Zeitersparnis für Start-ups. Als Beispiel nennt er das Biopharmaunternehmen GeNeuro, das er mitbegründet hat: «Zu Beginn des Projekts war das Ziel, sichere und wirksame Lösungen gegen die fortschreitenden Behinderungen einer Multiplen Sklerose zu finden. Dazu sollten die von HERV (humanen endogenen Retroviren) codierten möglichen ursächlichen Faktoren neutralisiert werden.» Vor Kurzem hat das Unternehmen ein neues Kapitel seiner Geschichte aufgeschlagen: Es untersucht die Folgen von Long-Covid nach der akuten Krankheitsphase. «Dass wir die regulatorischen Aspekte schon bei der Gründung des Unternehmens gut aufgegleist hatten, spart uns wertvolle Zeit in dieser zweiten Tätigkeitsphase.»

«Es lohnt sich wirklich, diese Erfahrungen bei kleinen Unternehmen besser bekannt zu machen», ist das Fazit von Benoît Dubuis. «Und bei Grossunternehmen?», fragt Julia Djonova. «Sollten wir uns auch dort aktiver bemühen?» Der Präsident von Inartis überlegt kurz. «Meines Erachtens ist der Bedarf an Sensibilisierung und konkreter Hilfe dort weniger gross, da die Prozesse stärker strukturiert sind und meistens auch regulatorische Aspekte umfassen.» Ein beträchtliches Verbesserungspotenzial sieht er hingegen bei den klinischen Studien. Wenn ein Unternehmen eine Behandlung gegen eine seltene Krankheit entwickelt, muss es häufig dezentrale Versuche an Patientinnen und Patienten in verschiedenen Kantonen durchführen, was sowohl einen logistischen als auch einen administrativen Mehraufwand bedeutet. «Für ein kleines Start-up bedeuten diese Kosten ein grosses Hindernis.» Julia Djonova stimmt dem zu. «Diese Thematik beschäftigt Swissmedic schon seit einiger Zeit und wir suchen derzeit nach Lösungen.»

Von gegenseitigen Fähigkeiten profitieren

Während der Präsident von Inartis und die Leiterin der Abteilung ATMP von Swissmedic ihre «Hausbesichtigung» beenden, staunt Julia Djonova über die Vielfalt der Unternehmen und Projekte in StationR. «Gerade diese Vielfalt ist unsere Stärke», bestätigt Benoît Dubuis. «Wir arbeiten in einem Netzwerk, alle profitieren von den spezifischen Fähigkeiten der anderen. Damit sich alle auf ihren Mehrwert konzentrieren, ohne dass sie alles selber können müssen.» Und er erinnert daran, dass «bei einem Grossteil der heutigen medizinischen Innovationen andere Disziplinen eine Rolle spielen». Zum Beispiel bei der Entwicklung von Gehirnimplantaten, bei der Fachleute für Energiesysteme oder Materialwissenschaften beteiligt sind. Oder die immer häufigere Zusammenarbeit zwischen Life Sciences und Informatik bei der Entwicklung von vernetzten Medizinprodukten.

«Wenn ein Start-up hier eine IT-Entwicklung benötigt, kann es einen Studenten der Ecole 42 (Anm. d. Red.: eine Online-Codierschule mit Präsenz in über 50 Ländern) damit beauftragen», erklärt Benoît Dubuis. «Haben Sie ein konkretes Beispiel für ein realisiertes Projekt im Gesundheitsbereich, das aus einer internen Zusammenarbeit entstanden ist?», fragt Julia Djonova. «Da kenne ich viele! Ein sehr anschauliches Beispiel ist der digitale Sehbehindertenstock: Er ist mit Sensoren ausgestattet und erkennt die Beschaffenheit des Bodens, etwa ob ein Trottoir nass ist.» Da StationR Elektronikwerkstätten sowie einen Raum für digitales Design und einen Makerspace beherbergt, konnte dieses intelligente Objekt «von A bis Z in Renens konzipiert und entwickelt werden».

Die Zukunft gehört der Innovation

Wenn Benoît Dubuis von StationR und dessen unzähligen Aktivitäten und Projekten spricht, leuchten seine Augen vor Begeisterung. In diesem Ozean der Innovation fühlt sich der Mann, der sowohl Wissenschaftler als auch Unternehmer ist, sichtlich wohl wie ein Fisch im Wasser. «Unser Wunsch ist es, zu helfen. Und Innovation bringt Lösungen für die Gesundheit.» Aber Vorsicht: «Es kommt nicht darauf an, dem Leben mehr Jahre zu geben, sondern den Jahren mehr Leben!» Daher ist es in den Augen des Präsidenten der Stiftung Inartis wichtig, «ein neues Verständnis von Gesundheit zu entwickeln und ein Healthy Living und Healthy Aging zu fördern».

Auch wenn er fest an die Macht der Innovation glaubt, macht sich der Walliser keine Illusionen, was den Traum der Unsterblichkeit angeht. «Die Zeit rast vorbei und allzu oft vergessen wir, wie wenig uns davon noch bleibt.» Als Warnruf hat der unermüdliche Macher eine Uhr entworfen, die auf der Grundlage eines ausgeklügelten Algorithmus die Lebensreserve des Trägers visualisiert. «Das soll nicht Angst machen, sondern zum Handeln aufrufen und dazu ermutigen, die noch verbleibende Zeit so zu nutzen, dass wir unsere Ambitionen verwirklichen können – und vielleicht sogar zu einer besseren Welt beitragen.»

Den luxuriösen Zeitmesser der Stiftung Inartis nimmt Julia Djonova nicht mit auf den Weg. Dafür zahlreiche Ideen und die Bestärkung, dass «die Arbeit des Innovationsbüros einem echten Bedürfnis der Start-ups entspricht». Ob der Begeisterung und Offenheit ihres Gesprächspartners hat sie beinahe die Zeit vergessen. Den Bahnhof erreicht sie gerade noch rechtzeitig für ihren Zug zurück nach Bern. Früher hätte sie sich einen Kaffee gegönnt. Diesmal ersetzt die Inspiration das Koffein.