Untersucht
Schutz des Menschen in klinischen Studien Präklinik: Der erste Schritt zu sicheren Medikamenten
Bevor neue Arzneimittel in klinischen Studien am Menschen getestet werden, wird anhand von präklinischen Studien das Sicherheitsprofil eines Wirkstoffs im Labor untersucht. Um mehr über die komplexen Aufgaben und aktuellen Entwicklungen der Präklinik zu erfahren, haben wir mit Elisabeth Klenke, Leiterin der Abteilung Nonclinical Assessment, gesprochen.
Die Entwicklung eines neuen Medikaments dauert im Durchschnitt zehn Jahre. Ein zentraler Bestandteil ist dabei die Präklinik, die gewährleisten soll, dass eine Substanz ein vertretbares Sicherheitsprofil und das gewünschte Wirkprinzip aufweist, bevor sie am Menschen getestet wird.
In präklinischen Studien untersuchen Forschende die Eigenschaften eines neuen Wirkstoffs eingehend. Sie simulieren mit verschiedenen Methoden – im Tierversuch («in vivo»), mit Zellkulturen («in vitro») oder mit Computersimulationen («in silico») – die Anwendung am Menschen, um Wirkung und mögliche Nebeneffekte abzuschätzen und erste Hinweise zur Dosierung zu erhalten.
«Die Präklinik ist ein essenzieller Schritt auf dem Weg zu sicheren und wirksamen Medikamenten», sagt Elisabeth Klenke. «Dabei wird der Begriff Präklinik oft missverstanden: Er umfasst nicht nur die Zeit vor der ersten klinischen Studie – präklinische Daten werden während der gesamten Entwicklung erhoben, bei Bedarf auch nach der Zulassung.» In Anlehnung an den international gebrauchten Begriff «nonclinical», heisst die Abteilung bei Swissmedic «Nonclinical Assessment» (NCA). Das neunköpfige Team vereint Fachwissen aus Tiermedizin, Pharmazie, Biologie, Biochemie und Immunologie sowie Berufserfahrungen aus der Pharma- und Lebensmittelindustrie, Akademien und Forschungsinstituten. Zusatzqualifikationen wie der European Registered Toxicologist werden regelmässig erneuert.
Zentrale Aufgaben des NCA sind:
- Begutachtung der präklinischen Dokumentation für Zulassungsgesuche
- Bewertung von Daten für die Bewilligung der ersten klinischen Phase
- Bewertung oder Erstellung toxikologischer Gutachten , wenn Verunreinigungen in einem zugelassenen Arzneimittel gefunden werden
- Inspektionen zur Einhaltung der Guten Laborpraxis (GLP) gemeinsam mit anderen Bundesämtern
«Die Präklinik ist ein essenzieller Schritt auf dem Weg zu sicheren, wirksamen Medikamenten.»
Das präklinische Programm
Bevor ein neues Medikament in klinischen Studien am Menschen getestet wird, muss die Gesuchstellerin – also z.B. das forschende Pharmaunternehmen – Swissmedic präklinische Daten aus den Untersuchungen zur Sicherheit und zum Wirkprinzip des Arzneimittels vorlegen.
Der Umfang der Daten ist dabei abhängig von dem Anwendungsgebiet des Medikaments, der Patientengruppe, der Behandlungsdauer und den physikalisch-chemischen Eigenschaften der Substanz. «Die Anforderungen sind unterschiedlich», erklärt Elisabeth Klenke. So gelten für ein Diabetesmedikament andere Bedingungen als für ein Krebsmedikament für Patientinnen und Patienten im fortgeschrittenen Stadium. Hier können höhere Risiken in Kauf genommen werden, um Schwerkranken einen schnelleren Zugang zu neuen Therapien zu ermöglichen.
In den frühen Phasen der Medikamentenentwicklung scheiden viele potenzielle Wirkstoffe aus, da ihre Sicherheit in der geplanten Anwendung nicht ausreichend belegt werden kann. Nur die vielversprechendsten kommen in die erste klinische Prüfung am Menschen (Phase 1). Parallel dazu werden weiterführende präklinische Studien durchgeführt, um mögliche Nebenwirkungen zu bewerten, die klinisch nicht untersucht werden können, wie Gefahren für ungeborene Kinder oder das Risiko einer behandlungsbedingten Krebserkrankung.
Nach Abschluss der klinischen Studien reicht die entsprechende Firma ein Zulassungsgesuch mit einem umfangreichen, auf die Indikation, Behandlungsdauer und Patientengruppe abgestimmten Datenpaket ein. Zur Bearbeitung nutzt Swissmedic seit Kurzem das SEND- Format (Standard for Exchange of Nonclinical Data), das die Effizienz und Konsistenz bei der Datenauswertung steigert und den Vergleich von Studien erleichtert.
Auch nach der Zulassung eines Medikaments können präklinische Daten noch relevant sein, zum Beispiel bei neuen Patientengruppen wie Kindern.
Für einen verantwortungsvollen Umgang mit Tierversuchen
Tierversuche sind derzeit noch notwendig, um Sicherheitsdaten zu gewinnen, die für die Risikobewertung beim Menschen unerlässlich sind. Weltweit gibt es jedoch Bestrebungen, die Zahl der Tierversuche im präklinischen Bereich zu reduzieren und sie so ethisch vertretbar wie möglich zu gestalten. Dabei bietet das sogenannte 3R- Prinzip Orientierung.
Swissmedic beteiligt sich aktiv an nationalen und internationalen Projekten zur Förderung der Weiterentwicklung von Alternativmethoden zu Tierversuchen: den sogenannten «New Approach Methodologies» wie Organoiden und Organ-on-a-Chip. Bereits umgesetzt ist der «Weight-of-Evidence»-Ansatz, der darauf abzielt, vorhandene präklinische Daten effektiver zu nutzen.
Auch die Leitlinien des «International Council for Harmonisation of Technical Requirements for Pharmaceuticals for Human Use» (ICH) tragen dazu bei, die Zahl der Tierversuche zu reduzieren. Ziel dieser Organisation ist es, Prüfanforderungen in allen Mitgliedsländern zu vereinheitlichen. Sicherheitsstudien müssen zudem nach den Qualitätsstandards der GLP durchgeführt werden. Dadurch können präklinische Tests weltweit anerkannt und der Einsatz von Tieren in der Forschung minimiert werden. «All das ermöglicht, dass ein Tierversuch für die ganze Welt gilt», bringt es Elisabeth Klenke auf den Punkt.
Internationale Zusammenarbeit stärkt die globale Arzneimittelsicherheit
«Die internationale Zusammenarbeit ist für uns sehr wichtig», betont Elisabeth Klenke. «Wir sind breit vernetzt und stehen in gutem Kontakt mit den präklinischen Assessoren unserer Partnerbehörden zum Beispiel in Kanada, Australien, Grossbritannien oder Singapur.» Zudem findet ein intensiver Austausch mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) im Rahmen des Preclinical Assessor Meetings statt.
«Von der Arbeit in internationalen Projekten bis hin zur detaillierten Prüfung neuer Wirkstoffe: Die Themen der Abteilung NCA sind vielseitig – und können einem auch nahegehen. Zum Beispiel, wenn es um Themen wie Onkologie-Medikamente für Kinder geht», sagt Elisabeth Klenke. «Da ist ein gut harmonierendes Team enorm wichtig.» Das gilt auch, wenn unter Zeitdruck verschiedenste Aufgaben parallel zu bewältigen sind: Der Aufwand für die Bearbeitung reicht dabei von einigen Wochen für die Neuzulassung eines Wirkstoffs über Tage für die Bewilligung klinischer Versuche bis hin zu wenigen Stunden für Korrekturen einer Fachinformation. «Durch den hervorragenden Zusammenhalt im Team gelingt es uns jedoch, die Arbeit frist- und fachgerecht zu bewältigen – und es macht sogar noch Spass.»
