Begleitet

Swissmedic im Wyss Zurich Translational Center Hoffnungsvolle Therapieansätze auf dem Weg in die Klinik

Das Innovationsbüro von Swissmedic fördert die Entwicklung von Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMP). Wir reisten mit Abteilungsleiterin Julia Djonova ins Wyss Forschungszentrum der Universität und der ETH in Zürich, wo Medizin, Biologie und Technologie verbunden werden. Mit Co-Leiter Professor Simon P. Hoerstrup sprach die Swissmedic-Vertreterin über die Zusammenarbeit zwischen Forschenden und Regulationsbehörde – und den möglichen Nutzen für erkrankte Menschen.

Das Tram bringt Julia Djonova in wenigen Minuten vom Zürcher Hauptbahnhof ins Universitätsquartier. Dort, in der Nähe der Universität, der ETH und des Universitätsspitals, befindet sich das Wyss Zurich Translational Center (kurz: Wyss Zurich). Das vor acht Jahren gegründete Institut ist ein gemeinsames Forschungszentrum der Universität und der ETH. Gestiftet hat es ein Mäzen: der frühere Berner Medtech-Unternehmer Hansjörg Wyss, der einst selbst an der ETH studierte. Kernidee ist es, die Entwicklung und Anwendung innovativer medizinischer Therapien sowie von Robotiksystemen zu beschleunigen.

Simon Hoerstrup ist einer der Gründungsdirektoren des Wyss Zurich und Medizinprofessor an der Universität Zürich. Er empfängt Julia Djonova in seinem Büro. Dort fällt sogleich eine Installation auf, welche ein Herz darstellt. «Das ist das Werk einer indischen Künstlerin», erklärt Professor Hoerstrup. Sie arbeitet mit den Mitteln der Robotik. Via eingebauten Sensor reagiert die Installation auf die Umgebung. Wird es am Sitzungstisch hektisch, ertönt rasender Herzschlag. Eine gewitzte Interaktion zwischen Technologie und Mensch, welche die Anwesenden daran erinnert, worum es wirklich geht: um die Auswirkungen emotional bewegender Technologie auf unser Leben und wie wir modernes Wissen für Patientinnen und Patienten nutzbar machen können.

«Unsere Stärke ist die ‹Brainpower› und die Innovation, die daraus entsteht.»
Simon P. Hoerstrup
Julia Djonova
Julia Djonova
Simon P. Hoerstrup
Simon P. Hoerstrup
Regenerative Medizin und ihr Vorbild

Neues soll sich qualitativ hochstehend entwickeln, so rasch und sicher wie möglich. Das ist das gemeinsame Ziel von Wyss Zurich, dem 2022 gegründeten Swissmedic-Innovationsbüro und der Abteilung ATMP, die Julia Djonova leitet. Die Abkürzung steht für «Advanced Therapy Medicinal Products», Arzneimittel für neuartige Therapien. Es sind Produkte, die auf Genen, Geweben oder Zellen basieren. «Mit Wyss Zurich stehen wir als Heilmittelbehörde seit Beginn in Kontakt», sagt Julia Djonova. Heute ist sie aber nicht für eine Inspektion hergekommen, sondern zum Austausch: «Wir möchten die Bedürfnisse von Forschenden erfahren und herausfinden, wo und wie wir sie unterstützen und begleiten können.»

Ein Bereich des Wyss Zurich hat sich auf die Herausforderungen in der regenerativen Medizin ausgerichtet. «Regenerative Medizin ist der Überbegriff für viele Verfahren, die das Ziel haben, Gewebe oder Organfunktionen möglichst vollständig wiederherzustellen», erklärt Simon Hoerstrup. Ein gutes Vorbild aus der Natur dafür ist ein Tier, das die meiste Zeit im Wasser lebt: der Axolotl, ein mexikanischer Lurch. Er ist in der Lage, nach einer Verletzung Glied­massen, Organe wie das Herz und sogar Teile des Gehirns nachwachsen zu lassen. «Ein Regenerationschampion», rühmt der Wissenschaftler. Als Zeichen der Anerkennung und zur Inspiration seiner Mitarbeitenden hängt ein grosses Axolotl-Bild im Treppenhaus des Instituts.

Mitwachsende Ersatzherzklappen

Um das Herz geht es auch im Forschungsprojekt Life Matrix, einem der Gründungsprojekte des Wyss Zurich. Ein elfköpfiges Team von Medizinerinnen, Biologen, Bioingenieuren und Materialwissenschaftlerinnen entwickelt ein Ersatzgewebe aus Zellen menschlichen Ursprungs, von dem herzkranke Kinder profitieren könnten. Weltweit kommt eines von 100 Kindern mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt. Die häufig betroffenen Herzklappen und Blutgefässe sind wichtig, weil sie den Blutstrom regeln. In der klassischen Therapie werden den Kindern in der Regel Prothesen aus künstlichen Materialien eingesetzt. Ein Eingriff, den der frühere Herzchirurg Simon Hoerstrup bestens kennt. Am Kinderspital in Boston (USA) wirkte er im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes bei komplexen Herzoperationen an Kleinkindern mit.

«Es ist beeindruckend zu sehen, wie die Babys diese Operationen überstehen», sagt er, «das sind solche Kämpfer, mit einem enormen Lebenswillen.» Doch das Problem ist bis heute, dass die verfügbaren Implantate nicht mitwachsen, wenn das Kind grösser wird. Daher müssen sie mehrmals ersetzt werden. Mit jedem Eingriff nimmt das Risiko für gravierende Komplikationen exponentiell zu, weiss Professor Hoerstrup. Das will die Forschung den Kleinen künftig ersparen: mit Herzklappen und Blutgefässen aus menschlichem Gewebe, die mitwachsen.

Langer Atem ist nötig

Im Tierversuch am Schaf konnten Zürcher Forschende unter Simon Hoerstrups Leitung schon vor gut 20 Jahren nachweisen, dass die lebende, im Labor hergestellte Herzklappe prinzipiell funktioniert. Heute arbeitet das Life-Matrix-Team an einer fortgeschrittenen Technologie, durch die das im Bioreaktor (Behälter zur Kultivierung von Zellen und Mikroorganismen) gebildete Gewebegerüst mit jeder Empfängerin, jedem Empfänger kompatibel sein soll. Einmal eingesetzt, besiedeln die Zellen der Patientin, des Patienten das Gerüst neu, während es sich abbaut. Die regenerative Klappe ähnelt immer mehr dem Original, übernimmt ihre Funktion und macht das Wachstum des Kindes mit. «Heute stehen wir kurz vor der ersten klinischen Studie am Menschen», so Simon Hoerstrup zum Stand der Dinge.

«Tissue Engineering» nennt sich die Herstellung lebenden Gewebes im Labor. Das Projekt Life Matrix zeigt, wie anspruchsvoll eine solche Entwicklung ist und welch langen Atem sie braucht, bis sie schliesslich beim Patienten angewendet werden kann. Dass das Projekt gedeihen konnte, hat das Wyss Zurich ermöglicht. Es unterstützt hoffnungsvolle Therapieansätze bewusst in einer vulnerablen Phase: im Übergang von der Grundlagenforschung in die Klinik. «Tal des Todes» wird er genannt, denn: «Viele gute Ideen scheitern, weil die meist sehr komplexen Technologien der medizinischen Forschung im Rahmen einer Firmengründung häufig zu früh einer kommerziellen Logik unterworfen werden und zudem zu früh in den Markt gehen», so Simon Hoerstrup.

«Tal des Todes» überbrücken

Wyss Zurich hilft daher ausgewählten Forschungsteams der Universität und der ETH mit seiner Infrastruktur und seinen Mitteln über das Tal des Todes hinweg. Unter anderem werden erste klinische Versuche finanziert. So können die Forschenden ihr Vorhaben ein paar Jahre länger an der Akademie weiterentwickeln, sagt Professor Hoerstrup, «und es zu einem Reifegrad bringen, der dann wirklich funktioniert». Das sei in der Medizin umso wichtiger, weil der Nachweis am Schluss am Patienten erbracht werden müsse. Während die Projektteams weiter Richtung Anwendung forschen, wird auch ihr Unternehmersinn geschärft. Sie werden unterstützt, Start-ups zu gründen, um zum richtigen Zeitpunkt auch eine erfolgreiche Kommerzialisierung zu ermöglichen.

Swissmedic war und ist regulatorisch und wissenschaftlich aktiv bei Wyss Zurich involviert, von der Abnahme der Reinrauminfrastruktur bis zur klinischen Weiterentwicklung von ATMPs. Die Behörde ist bestrebt, Schweizer Innovationen voranbringen zu helfen, wie Abteilungsleiterin Julia Djonova unterstreicht: «Wir wollen Produkten, wie sie im Wyss Zurich entstehen, die Möglichkeit geben, sich weiterzuentwickeln und in die Umsetzung zu kommen.» Denn der zu erwartende Nutzen sei sehr gross: «Patientinnen und Patienten sollen nicht unnötig warten müssen.»

«Gemeinsam verstehen lernen»

Für viele neue Technologien fehlen noch etablierte und klare technische Normen, da sie sich in rasantem Tempo entwickeln. Doch Swissmedic kennt nicht nur die rechtlichen Grundlagen, sondern verfolgt auch aktiv die neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen. «Wir stellen Wissen zur Verfügung und beraten die Forschenden und die Start-ups, unter welchen Herstellungsbedingungen ein Produkt bewilligt werden kann oder eine klinische Studie, ein Zulassungsgesuch gutgeheissen werden können. Dabei werden für die Entscheidungen komplexe Faktoren berücksichtigt. Denn jedes Produkt ist spezifisch und anders», sagt die Abteilungsleiterin. Ein Vorgehen, das der Co-Leiter des Wyss Zurich begrüsst. Er sagt: «So lernen wir gemeinsam zu verstehen, wo die Herausforderungen liegen.» Das Projekt Life Matrix sei dafür ein Beispiel: Design, Erstellung und die gesetzkonforme Funktionierung der Herstellungsräume für das Ersatzgewebe seien «in Zusammenarbeit und mit viel Feedback von Swissmedic» erfolgt.

Der frühe Beizug der Heilmittelbehörde ist im Wyss Zurich erwünscht: «So machen wir möglichst wenig Fehler, die vermeidbar gewesen wären.» Auch Investoren gewännen dadurch Sicherheit, hält Professor Hoerstrup fest. Das neue Innovationsbüro der Swissmedic ist für ihn eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit, wie sie bereits gepflegt werde. «Für den Standort Schweiz ist es essenziell, dass wir in den Spezialanwendungen und komplexeren Zulassungen besonders gut zusammenarbeiten», sagt er. Als kleines Land könne die Schweiz nicht mit umfangreichen Studien und grossen Patientenkohorten punkten: «Unsere Stärke ist die ‹Brainpower› und die Innovation, die daraus entsteht.»

Innovation: «Topstandort Schweiz»

Punkto Innovation sei die Schweiz «ein Topstandort in Europa», findet der renommierte Wissenschaftler. Und Zürich biete mit dem vereinten Wissen von Universität und ETH besondere Vorteile. Und dank dem Unispital seien auch die Patientinnen und Patienten direkt vor der Haustüre. Gefragt, was Swissmedic aus Sicht des Wyss Zurich noch besser machen könnte, kommen die Verantwortlichen auf die Digitalisierung zu sprechen. Alles, was die Prozesse beschleunige, sei hilfreich; bei der Digitalisierung regulatorischer Abläufe gebe es durchaus noch Luft nach oben. Das Anliegen sei erkannt, die digitale Transformation habe hohe Priorität bei Swissmedic, versichert Julia Djonova.

Das Team von Wyss Zurich ermöglicht «Visible» dann noch einen Einblick in das Herzstück des Zentrums: das Reinraumgeschoss. Hier entstehen die hoffnungsvollen Therapieansätze. Zwischen Kühlbehältern und computergesteuerten Laborgeräten sind durch Fensterflächen Forscherinnen und Forscher in vollständiger Schutzkleidung zu sehen. Die Bedingungen, unter denen sie an ihren Arbeitsflächen hantieren, sind äusserst kontrolliert. Neben den Herzklappen-Forschenden des Projekts Life Matrix nutzen aktuell sieben weitere Forschungsteams die Reinräume für ihre Projekte, so zum Beispiel ­«Liver4Life». Ziel dieses Projektes ist es, Menschen mit Lebererkrankungen eine neue Behandlungsmöglichkeit anzubieten. Die Forschenden haben eine Maschine entwickelt, mit der eine Leber ausserhalb des Körpers aufbewahrt und regeneriert werden kann. Letztes Jahr gelang eine erste Transplantation nach dieser Methode. Eine geschädigte Spenderleber, die sonst nicht brauchbar gewesen wäre, konnte einem Patienten nach drei Tagen in der sogenannten Perfusionsmaschine, wo das Spenderorgan unter optimalen Umgebungsbedingungen konserviert wird, als erholtes Organ eingesetzt werden. Jetzt bereiten die Forschenden eine klinische Studie vor, an der mehrere Transplantationszentren beteiligt sind.

Swissmedic: «Offen für Gespräche»

Nach dem Mittag verlassen wir das Wyss Zurich wieder. Was nimmt Julia Djonova von ihrem Besuch mit? In erster Linie sehe sie sich in der lohnenden Zusammenarbeit bestätigt, sagt die ATMP-Abteilungsleiterin: «Es war gut, noch einmal zu hören, dass Professor Hoerstrup und seine Mitarbeitenden unsere Zusammenarbeit als hilfreich empfinden.» Swissmedic sei offen für Gespräche, Forschende und Start-ups könnten sich jederzeit mit Fragen an sie wenden. So würden die Voraussetzungen geschaffen, damit zukunftsweisende Therapieansätze unter Einhaltung der regulatorischen Vorgaben vorankommen. Künftig werden die Wege noch kürzer und der Austausch intensiver. Neben den bereits gut etablierten Scientific Advice Meetings (Beratung in der Entwicklungsphase) wird Swissmedic weitere Plattformen aufbauen, wie zum Beispiel die Präsenz vor Ort. Nach Genf und Lausanne wird das Swissmedic-Innovationsbüro neu auch in Zürich präsent sein und die Forschenden und Start-ups mit regulatorischer und wissenschaftlicher Beratung unterstützen.