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Interview mit Swissmedic-Direktor Raimund Bruhin

Das Schweizerische Heilmittel­institut Swissmedic ist eine selbst­ständige Organisationseinheit des­ Bundes und erfüllt ihren gesetzlichen Auftrag unabhängig. Swissmedic soll Aufsichts- und Regulie­rungsentscheide mit Distanz zum politischen Tagesgeschäft fällen. Wie steht es um diese Autonomie gegenüber der Politik und anderen Stakeholdern während der Covid-19-Pandemie? Kann Swissmedic ihre Aufgaben ohne inhaltlichen Druck erfüllen und Entscheide basierend auf rein wissenschaft­lichen Grundlagen treffen?

Raimund Bruhin im Gespräch
Raimund Bruhin im Gespräch
Raimund Bruhin im Gespräch
Raimund Bruhin im Gespräch
Raimund Bruhin im Gespräch
Raimund Bruhin im Gespräch
Raimund Bruhin im Gespräch
Auf einmal steht Swissmedic im Rampenlicht. Wurden Sie überrascht, wie schnell die Schweizer Heilmittelbehörde in den Fokus der Öffentlichkeit rückte?

Die Zulassung von sicheren, wirksamen und qualitativ hochstehenden Arzneimitteln wird in der Öffentlichkeit als selbstverständlich betrachtet. Die vielfältigen Aufgaben von Swissmedic finden deshalb in der Regel wenig Aufmerksamkeit, solange sie einwandfrei erledigt werden. Es zeichnete sich früh ab, dass neue Impfstoffe aus der Krise führen können. Damit habe ich erwartet, dass wir in mehrfacher Hinsicht (Zulassung, Betriebsbewilligungen, Marktüberwachung) zu einem zentralen Akteur und früher oder später, inbesondere mit der Zulassung von Impfstoffen, im Rampenlicht stehen werden. Die öffentliche Aufmerksamkeit war für mich deshalb keine Überraschung. Nicht vorhersehbar war lediglich das Tempo, mit dem bereits im letzten Quartal 2020 Impfstoffe die Zulassungsreife erlangten. Verglichen mit bisherigen Zeiten der Impfstoffentwicklung war dieses Tempo nicht vorauszusehen.

Der Druck ist gross, Impfstoffe nicht nur zuzulassen, sondern dies auch richtig zu machen. Spüren Sie, dass die Mitarbeitenden einer besonderen Belastung ausgesetzt sind?

Aufgrund der prekären Pandemiesituation liegt ein grosser Erwartungsdruck auf allen Heilmittelbehörden, sichere und wirksame Covid-19-Impfstoffe schnell zulassen und verimpfen zu können. Der Spagat zwischen Geschwindigkeit und Sorgfalt ist sehr anspruchsvoll. Vor allem die Mitarbeitenden, welche mit der Zulassung direkt befasst sind, haben seit Beginn der Coronakrise ein sehr hohes Arbeitspensum. Die Expertinnen und Experten mit langjähriger Erfahrung sind aber gewohnt, täglich mit den Erwartungen der Pharmafirmen im Hinblick auf Zulassungen zu leben. Sie können damit professionell umgehen. Eine gezielte Vorbereitung im Verlauf des letzten Jahres, etablierte effiziente Prozesse und regulatorische Standards sowie die eigene Kompetenz unterstützen die anspruchsvolle Arbeit. Ich bin beeindruckt, wie die Herausforderungen im Homeoffice bisher gemeistert wurden und wie gut die digitale Zusammenarbeit funktioniert hat.

Swissmedic darf sich in ihren Entscheiden und Expertisen ausschliesslich von wissenschaftlichen Kriterien leiten lassen. Wie schaffen Sie und die Mitarbeitenden es, wenn im Land die Menschen erkranken, das Gesundheitssystem an seine Grenzen stösst, davon unbeeinflusst zu bleiben?

Wir sind uns alle der grossen Aufgabe und Verantwortung bewusst, die wir zum Schutz der Öffentlichkeit zu erledigen haben. Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität der Heilmittel sind ein gesetzlicher Auftrag. Das schafft die Grundlage und den Handlungsspielraum, nach wissenschaftlichen Kriterien und auf der Basis ausreichender Daten, qualitativ und quantitativ, zu entscheiden. Medikamente und Impfstoffe, welche diese Kriterien nicht erfüllen und somit kein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis haben, gefährden die Patientensicherheit und die öffentliche Gesundheit. Wenn wir uns also von diesen Vorgaben leiten lassen, sind wir in der Sache nicht im Widerspruch zum Umfeld und können entsprechend unbeeinflusst entscheiden.

Der ehemalige Präsident der USA hat starken Druck auf die amerikanische Zulassungsbehörde ausgeübt. Wurde Swissmedic von der Politik auch unter Druck gesetzt?

Wir spürten keinen direkten Druck, im Gegenteil, Bundesrat und Parlament haben wiederholt erklärt, wie wichtig eine unabhängige Prüfung durch Swissmedic ist. Aber die hohen Erwartungen aller Anspruchsgruppen sind spürbar. Was den Vergleich mit den USA betrifft, das System in der Schweiz ist anders. Die gesetzlichen Grundlagen, die Governance und Compliance auf Stufe Bund stellen die politische, wissenschaftliche, organisatorische und finanzielle Unabhängigkeit von Swissmedic als Behörde der Sicherheits- und Wirtschaftsaufsicht sicher. Swissmedic ist beim EDI assoziiert, nicht unterstellt und führt ihre Geschäfte weisungsungebunden. Zentrales Ziel der Schaffung solcher dezentraler Einheiten durch den Gesetzgeber war und ist die Entpolitisierung der Sachgeschäfte und Aufgaben dieser Einheiten. Das verhindert die Einflussnahme durch Interessengruppen verschiedener Couleur auf Swissmedic, mit dem Ziel, die Patientensicherheit und die öffentliche Gesundheit zu schützen.

Wie kommt es, dass gerade die beiden Impfstoffe zuerst zugelassen wurden, die der Bund in grossen Mengen eingekauft hat?

Ein positiver Zulassungsentscheid hängt allein von der sorgfältigen wissenschaftlichen Begutachtung ab. Diese stützt sich auf ausreichende Daten – qualitativ und quantitativ – welche die Gesuchsteller einreichen. Bei den beiden ersten zugelassenen mRNA-Impfstoffen lagen uns schlicht zuerst genügend Daten vor, um das Nutzen-Risiko-Profil zuverlässig zu bewerten und so einen Zulassungsentscheid fällen zu können. Der Bund hat bei den Reservations- und Lieferverträgen die Risiken auf drei unterschiedliche technologische Plattformen verteilt. Mit der Auswahl von je zwei Herstellern pro Technologieplattform, und damit sechs Impfstoffkandidaten, steigt die Wahrscheinlichkeit, auf einen erfolgreichen Impfstoffkandidaten gesetzt zu haben.

Wie wird sichergestellt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Führungskräfte oder die Mitglieder der externen Beratergremien unabhängig sind?

Alle Mitarbeitenden von Swissmedic, die Mitglieder der externen Beratergremien ebenso wie der Institutsrat haben einen Verhaltenskodex einzuhalten. Interessenbindungen müssen in regelmässigen Abständen offengelegt oder bei unterjährigen Änderungen spontan gemeldet werden. Es gibt Vorgaben für Ausstand und Unvereinbarkeit. Die Aufgaben und Kompetenzen der Organe von Swissmedic sind auf Gesetzesebene definiert, womit auch die Zuständigkeiten eindeutig geregelt sind. Wir kontrollieren die Einhaltung der Vorgaben regelmässig und erinnern alle Beteiligten immer wieder daran, wie wichtig die Unabhängigkeit für wissensbasierte Entscheidungen ist.

«Eine der herausragenden Stärken von Swissmedic liegt in der gesetzlich verankerten politischen, organisatorischen und finanziellen Unabhängigkeit – kombiniert mit der wissenschaftlichen Eigenständigkeit.»

Nach der Zulassung ist die Aufgabe für Swissmedic nicht beendet, die Sicherheit der Impfstoffe wird weiterhin sehr sorgfältig überwacht. Wie sind die ersten Erkenntnisse?

Die bisher ausgewerteten Meldungen zu unerwünschten Wirkungen der Impfstoffe aus der Schweiz zeigen keine unbekannten Signale, das Sicherheitsprofil der Impfstoffe ist bis jetzt positiv. Zum gleichen Schluss kommen auch die Behörden in anderen Ländern, mit denen wir uns in kurzen Abständen austauschen. Die gemeldeten Nebenwirkungen aus der Praxis entsprechen den Ereignissen, die aus den klinischen Studien bekannt sind. Übrigens sind auch die Zulassungsinhaberinnen (Hersteller) verpflichtet, die Sicherheit ihrer Impfstoffe laufend zu überwachen. Und zwar international, das heisst überall dort, wo die Impfstoffe im Einsatz sind. Entsprechend müssen die Firmen ein Pharmacovigilance-System mit ausgebildetem Personal etabliert haben und Swissmedic neue Erkenntnisse zu bisher nicht oder noch ungenügend bekannten Nebenwirkungen zeitnah weiterleiten.

Ist Swissmedic bei der Marktüberwachung der Arzneimittel genug unabhängig von der Industrie?

Wie bei der Zulassung ist ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis der zentrale Aspekt bei der Marktüberwachung. Swissmedic entscheidet als nationales Pharmacovigilance-Zentrum auch über Sicherheitsmassnahmen unabhängig und nur aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse. Durch den stringenten Verhaltenskodex und eine etablierte Qualitätssicherung wird sichergestellt, dass die Bewertungen unabhängig und gemäss aktuellsten Sicherheitssignalen erfolgen. Nötige Massnahmen orientieren sich ausschliesslich am Schutz der Patientinnen und Anwender, nicht an den Bedürfnissen der Hersteller.

Raimund Bruhin im Gespräch
Der Swissmedic-Direktor Raimund Bruhin im Interview
Wäre es nicht sinnvoll, Zulassung und Marktüberwachung strikt zu trennen?

Swissmedic hat mehrere Geschäftsbereiche, die mit hoher Fachkompetenz die Aufgaben der Zulassung, der Marktüberwachung wie auch der Bewilligungen und Inspektionen wahrnehmen. Die beiden Geschäftsbereiche sind innerhalb der Organisation bereits getrennt. Gleichzeitig sind viele Marktüberwachungsprozesse inhaltlich verzahnt: So können Erkenntnisse aus der Marktüberwachung eine Anpassung der Zulassung zur Folge haben oder können eine Inspektion auslösen. Wie auch der internationale Vergleich zeigt, ist es deshalb üblich und fachlich sinnvoll, dass nationale Heilmittelkontrollbehörden sowohl die Aufgaben der Zulassung wie auch der Arzneimittelsicherheit wahrnehmen. Eine weitergehende Trennung mit Ansiedelung in einer anderen Organisation wäre kontraproduktiv, da dies die Effizienz vermindern und die neu geschaffene Schnittstelle die Bürokratie vergrössern würde. Ausserdem bestehen zwischen diesen Geschäftsbereichen keine Interessenkonflikte und auch keine Abhängigkeiten. Beide Geschäftsbereiche profitieren von der Nähe und Verfügbarkeit der jeweils anderen Kompetenzen, beispielsweise in den etablierten Fachgruppen, wo die Zusammenarbeit besonders gross ist.

Wo liegen die herausragenden Stärken von Swissmedic heute und in Zukunft?

Eine der herausragenden Stärken von Swissmedic liegt in der gesetzlich verankerten politischen, organisatorischen und finanziellen Unabhängigkeit –­ kombiniert mit der wissenschaftlichen Eigenständigkeit. Der Gesetzgeber will eine eigenständige, betriebswirtschaftlich geführte Organisation, in der unbeeinflusst – auch dann, wenn es hart auf hart kommt wie jetzt bei der Zulassung von Impfstoffen – wissenschaftlich und datenbasiert zugunsten der Patientiensicherheit entschieden wird. Das unterscheidet uns im internationalen Vergleich auch von anderen Heilmittelbehörden, die in die politische Hierarchie eingebunden und somit politischen und indirekt auch wirtschaftlichen Interessen stärker ausgesetzt sind. Ein weiteres grosses Plus sind der bereits erreichte Stand bei der Digitalisierung und die hoch motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich mit Auftrag und Aufgaben von Swissmedic in hohem Mass identifizieren. Wir werden auch in Zukunft nicht nur in digitale Lösungen, sondern auch in unser Personal investieren. Arbeitszufriedenheit und hohe Kompetenz, effiziente Prozesse und eine schlanke agile Organisation, aber auch die Offenheit für Neues bzw. Innovationen sorgen für die Zukunftsfähigkeit unserer Organisation.

Zu guter Letzt ist der Wille zur Zusammenarbeit etabliert, Swissmedic ist auf allen Stufen national, aber auch international sehr stark vernetzt und profitiert von diesem Netzwerk zugunsten ihres Auftrages. All diese Stärken wollen wir bewahren, pflegen und weiterentwickeln, um die Herausforderungen des stetigen Wandels zu meistern.