Nachgeforscht

Neue Regelung seit Mai 2021 Klinische Versuche mit Medizin­produkten 2.0

Medizinprodukte, wie beispielsweise Ersatz für Kniegelenke oder Herzklappen, Katheter für innere Eingriffe oder Software für MRI-Scanner müssen klinisch geprüft werden, bevor sie auf den Markt kommen. Die Anforderungen wurden ab dem 26. Mai 2021 neu geregelt und europaweit harmonisiert. Isabel Scuntaro und Simone Frank von Swissmedic begleiten das neue Prozedere und erläutern anhand eines Beispiels, wie die klinischen Versuche durchgeführt werden.

Simone Frank
Simone Frank
Isabel Scuntaro
Isabel Scuntaro
Die europäische Regelung…

…regelt die Anforderungen an die klinischen Versuche von Medizinprodukten im Detail. Diese Harmonisierung ermöglicht den europäischen Ländern, zumindest bei einem Teil der Versuche, ein einheitliches Vorgehen festzulegen.

Die Konsequenzen für die Schweiz…

…sind vielfältig. Die zahlreichen grundlegenden Änderungen sind der beste Beweis dafür. Seit Mai 2021 gibt es nun eine eigene Verordnung für klinische Versuche mit Medizinprodukten. Am meisten veränderte sich die Zusammenarbeit zwischen Swissmedic und den Ethikkommissionen – sie ist noch enger geworden. Arbeitete man früher unabhängiger voneinander, kann Swissmedic nach neuem Recht nur noch klinische Versuche bewilligen, wenn die Bewilligung der Ethikkommission vorliegt. Bewilligungsverfahren werden in der Schweiz parallel durchgeführt. Das heisst für den Sponsor –, mit Sponsor bezeichnet man die Organisation oder Person, die verantwortlich ist für die Veranlassung eines klinischen Versuchs – dass er sein Gesuch und Nachreichungen an beide Instanzen gleichzeitig einreicht. Durch die Parallelität der Prozesse minimiert sich auch der Zeitaufwand.

«Die Konsequenzen für die Schweiz sind vielfältig.»

Isabel Scuntaro
Die Konsequenzen der neuen Regelungen…

…bedeuteten im Vorfeld für die Ab­teilung Medical Devices Clinical Investigation (MDCI) in erster Linie intensive Absprachen mit den Ethikkommissionen. Insbesondere mit swissethics, der Vereinigung der Ethikkommissionen. Damit ein möglichst reibungsloses Verfahren stattfindet und ein Beschluss rasch mitgeteilt werden kann, mussten das genaue Vorgehen für die Einreichungen abgestimmt und die Synchronisationsschritte für den gegenseitigen Informationsaustausch während der Verfahren fest­gelegt werden. Auch das Gewähren des sogenannten «rechtlichen Gehörs» (alle von einem Erlass Betroffenen haben Anspruch darauf, sich zur Sache zu äussern) musste koordiniert werden. Gemeinsam wurden verschiedene Publikationen für die Einreichungen überarbeitet und Schulungen der Ethikkommissionen durchgeführt. In Europa arbeitete die Abteilung MDCI zudem in verschiedenen Arbeitsgruppen und beteiligte sich an Behördendiskussionen sowie an der Redaktion von Publikationen über die Umsetzung der neuen Regulierung. age der Haltung. Ich bin sehr froh, werde ich diesbezüglich von allen optimal unterstützt», zieht Mion trotz zurzeit schwieriger Rahmenbedingungen ein positives Fazit.

Für die Anpassung des Prozesses musste die Abteilung MDCI sämtliche Formulare, Briefe und Arbeitsmittel für Medizinprodukteversuche überarbeiten. Insgesamt wurden über 80 Dokumente neu erstellt oder grundlegend erneuert. Praktische Informationen und Formulare für die neuen Bewilligungsverfahren konnten am 1. April 2021 publiziert und breit gestreut werden. Seit dem 1. Mai 2021 erfolgen sämtliche Einreichungen an die Abteilung MDCI bereits nach neuem Recht.

Swissmedic bleibt weiterhin am Ball. Insbesondere wird Swissmedic Erfahrungen auswerten und die neuen Verfahren weiter optimieren.

Der Unterschied zu den Arzneimitteln…

…liegt darin, dass Letztere immer wieder aus dem Körper ausgeschieden werden, während der Einsatz von diversen Medizinprodukten nicht reversibel ist. Treten Probleme auf, müssen diese z.B. chirurgisch behoben werden. Während ein Arzt oder ein Spital höchst selten ein neuartiges Arzneimittel entwickeln, werden neue Medizinprodukte immer wieder von Ärztinnen und Ärzten, kleineren oder mittleren Unternehmen, Start-ups oder jungen Spin-off-Firmen entworfen. Oftmals genügt eine gut ausgestattete Werkstatt. Bei Medizinprodukten sind die Herangehensweise und Vorsichtsmassnahmen für klinische Versuche wenig standardisierbar, und es kommt immer wieder zu Korrekturen durch Swissmedic.

Das Verfahren bei Swissmedic…

…betrifft Produkte, für die noch keine Konformitätsbewertung erfolgte und somit auf dem Markt nicht in Verkehr gebracht werden dürfen – sie weisen kein CE-Kennzeichen auf. Aber auch Produkte, die anders als vorgesehen angewendet werden (off-label use) oder in der Schweiz mit einem Verbot behaftet sind. Bei verbotenen Produkten ist oft der Fall, dass noch zu wenige klinische Daten über Leistung und Sicherheit vorliegen, oder das Produkt aufgrund von klinischen Vorkommnissen überarbeitet wurde, was zu ergänzenden klinischen Versuchen führt.

Das Beispiel Wirbelimplantat zeigt, wie…

…komplex die Entwicklung eines neuen Produkts sein kann. Als Erstes muss der Hersteller das Produkt technisch entwickeln. Aufgrund der möglichen Risiken muss eine umfangreiche Dokumentation verfasst werden; sie beinhaltet eine Zusammenfassung der technischen Entwicklung (konkret legt der Hersteller dar, wie Normen und Anforderungen erfüllt werden), die präklinischen Tests im Labor und allenfalls an Tieren, und falls vorhanden erste Erfahrungen an Menschen. Erst dann kann ein Gesuch gestellt werden für die Bewilligung eines klinischen Versuchs. Ist die komplette Dokumentation bei Swissmedic eingegangen, wird sie inhaltlich geprüft und auf die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen hin untersucht. Das Wirbelimplantat muss zum Beispiel dauerhaft sein, die Sterilität muss erwiesen sein und die Materialien müssen mit dem Körper verträglich sein. Während die klinische Entwicklung bei Arzneimitteln oft in drei Phasen unterteilt wird, ist sie bei Medizinprodukten variabel. Medizinprodukte kombinieren oft verschiedene Aspekte und Komponenten. Nicht selten ist eine Mischung aus bewährten und innovativen Aspekten, wie zum Beispiel neuartige Materialien oder ein neues Design, vorhanden, was zu Einzelabwägungen mit wenig Standardisierung führt. Swissmedic wird bei einem Wirbelimplantat zum Beispiel prüfen, ob die technische Einführung und Betreuung der implantierenden Ärzte, die Vorsichtsmassnahmen, Zwischenanalysen und Abbruchkriterien des Versuchs dem Innovationsgrad angemessen sind.