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Interview mit Karoline Mathys «Die Behörden müssen neu eine proaktive ­Überwachung der ­Medizinprodukte umsetzen.»

Die neuen Regelungen für Medizinprodukte sollen in erster Linie die Patientensicherheit verbessern, sagt Karoline Mathys. Die Leiterin des Bereichs Markt­überwachung und Mitglied der Geschäftsleitung von Swissmedic äussert sich im Interview unter anderem zu den Auswirkungen des gescheiterten Rahmenabkommens mit der EU, den Abhängigkeiten von EU-Verordnungen, den Kooperationen mit den europäischen Behörden und zur Versorgungssicherheit in der Schweiz.

Frau Mathys, wieso brauchte es neue Grundlagen/Verordnungen im Bereich Medizinprodukte?

Die Medizinprodukteregulierung ist im Vergleich zur Arzneimittelregulierung relativ jung. Arzneimittel werden seit über 120 Jahren behördlich zugelassen und überprüft, Medizinprodukte erst seit 25 bis 30 Jahren. Wie bei jeder neuen Regulierung zeigt sich erst in der Anwendung, wo Verbesserungsbedarf besteht.

Wo liegt konkret Handlungsbedarf?

Die in der Schweiz und der EU in den 1990er-Jahren eingeführte Regulierung war wenig detailliert und basierte sehr stark auf der Wahrnehmung der Eigenverantwortung der Wirtschaftsakteure (Hersteller, Importeure, Händler, Spitäler etc.). Es zeigte sich, dass die Regulierung europaweit nicht homogen umgesetzt wurde und Schwachstellen hatte, was zu Zwischenfällen und Skandalen mit Medizinprodukten führte; Stichwort «Implant Files1». Die Gesetzgeber haben daher entschieden, die Regulierung zu konkretisieren und zu verschärfen. Insbesondere wurden die Rollen und Aufgaben der diversen Wirtschaftsakteure konkretisiert, die Vorgaben für die behördliche Überwachung verschärft und mehr klinische Nachweise zur Leistungsfähigkeit und Sicherheit der Medizinprodukte eingefordert.

Was ändert sich mit den neuen Regelungen im Allgemeinen – und was ist alles besser an den neuen Regelungen?

Hauptziel der neuen Regulierung ist die Verbesserung der Patientensicherheit. Dies soll durch eine Erhöhung der Produktesicherheit und der Transparenz erreicht werden. Konkret werden neu für alle Medizinprodukte höherer Risikoklassen, wie z.B. Implantate oder auch Operationsroboter, klinische Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit re­spektive zum Leistungsnachweis eingefordert. Weiter muss die Sicherheit der Produkte durch den ­Hersteller laufend überwacht und periodisch Berichte dazu erstellt werden. Auch die Aufgaben ­der übrigen Akteure wie Importeure, Bevollmächtigte für Hersteller aus Drittstaaten, Händler etc. wurden konkretisiert. Sie alle werden in die Überwachung eingebunden.

«Die Palette der Medizinprodukte wird sich laufend erweitern.»

Was heisst das konkret?

Die Vorgaben für die benannten Stellen (Konformitätsbewertungsstellen) wurden stark verschärft. Bei allen Produkten, die nicht in der niedrigsten Risikoklasse (Klasse 1) sind, müssen diese benannten Stellen für den Marktzutritt beigezogen werden. Die Behörden sind für die Bezeichnung und Überwachung dieser Stellen zuständig. Dieser Prozess umfasst unter anderem mehrere Audits mit internationalen Inspektorenteams sowie zahlreiche Berichte der benannten Stelle und der zuständigen Behörde. Dies dauert mehrere Jahre. Zusätzlich müssen die Behörden neu eine proaktive Über­wachung gewährleisten.

Karoline Mathys
Wie sieht es in Sachen Transparenz aus?

Für die Umsetzung in der EU gibt es die umfassende zentrale EU-Datenbank EUDAMED 3, über die alle Informationen und auch die Zusammenarbeit zwischen den Behörden fliessen. Ein Teil dieser Informationen, beispielsweise zu den Wirtschafts­akteuren und später auch zu den Produkten, wird öffentlich sein.

Medizinprodukte müssen künftig mit einer eindeutigen Kennzeichnung, dem sogenannten Unique Device Identifier (UDI) versehen werden, was die Rückverfolgbarkeit und Überwachung verbessert.

Wie haben Sie sich auf den Entscheid des Bundesrats bezüglich des Rahmenabkommens vorbereitet – hatten Sie damals einen Plan A und B?

Der Bundesrat hat klar entschieden, dass die Schweiz das gleiche Sicherheitsniveau und eine mit der EU äquivalente Regulierung will. Entsprechend wurde der Fokus auf die Vorbereitung der Umsetzung im Verbund mit den EU-Partnerbehörden gelegt. Swissmedic musste jedoch von Beginn an mit dem «Worst-Case-Szenario» – fehlende oder verspätete Aktualisierung der bilateralen Verträge (MRA) – rechnen. Entsprechend haben wir unsere Prozesse so weit wie möglich so aufgestellt, dass Swissmedic auch ohne direkte Anbindung an die neue zentrale EU-Datenbank ihre Überwachungsaktivitäten aufrechterhalten kann. Zum Beispiel, indem die Prozesse und Überwachungsdaten aus der Schweiz in unserem eigenen Informationssystem geführt werden.

Wie stark ist man von EU-Verordnungen – der Medical Devices Regulation (MDR) – abhängig?

Die Schweizer Regulierung stützt sich sehr stark auf die EU-Regulierung ab – dies um für die Wirtschaft nicht unterschiedliche Anforderungen zu definieren und ein äquivalentes Sicherheitsniveau für die Schweizer Patientinnen und Patienten zu erreichen.

Welche konkreten Kooperationen mit der europäischen Behörde sind geplant?

Die Schweiz war bis am 26. Mai 2021 Teil des EU-­Binnenmarktes und Swissmedic war ein gleichberechtigter Partner im Behördennetzwerk und eng in die gemeinsame Überwachung eingebunden. Aufgrund des Abbruchs der Verhandlungen bezüglich Rahmenabkommen hat die EU die für eine Fortsetzung dieser Zusammenarbeit erforderliche Aktualisierung der bilateralen Verträge im Bereich Medizinprodukte abgelehnt. Die EU bewertet die Situation mit der Schweiz analog dem Brexit und erachtet die bilateralen Verträge im Bereich der ­Medizinprodukte einseitig als nicht mehr anwendbar.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Die staatsvertragliche Grundlage für die Weiterführung der Zusammenarbeit wird durch die EU­ seit dem 26. Mai 2021 infrage gestellt, insbeson­dere der Informations- und Datenaustausch zwischen den EU-Partnerbehörden und Swissmedic. Wir haben keinen Zugriff mehr auf relevante, von den Vollzugsbehörden genutzte EU-Datenbanken und wurden aktiv aus dem Behördennetzwerk ausgeschlossen. Das betrifft vor allem für den Vollzug relevante Informationen wie Inspektionsberichte ausländischer Hersteller oder benannter Stellen, behördliche Sicherheitsberichte etc.

Welche Mehraufgaben (innerhalb von Swissmedic) ergeben sich durch diese neue Konstellation?

Durch den Wegfall der Zusammenarbeit und der Arbeitsteilung mit den Partnerbehörden steigt ­der Überwachungsaufwand. Die Informations­beschaffung bei Zwischenfällen ist deutlich auf­­wendiger und aufgrund der fehlenden Behörden­informa­tio­nen ist nicht sichergestellt, dass Swissmedic Produkte­mängel frühzeitig erkennt.

Wie kann sich Swissmedic positionieren und welche Chancen ergeben sich daraus?

Swissmedic kann auf sehr kompetente und erfahrene Mitarbeitende zurückgreifen und wird sich bezüglich regulatorischer Zusammenarbeit neu in globalen Foren einbringen. Konkret werden wir uns für die regulatorische Weiterentwicklung im International Medical Device Regulatory Forum (IMDRF) engagieren. Eine Neuorientierung der operativen Zusammenarbeit in der Überwachung setzt entsprechende Vereinbarungen für den Informations- und Datenaustausch voraus und wird daher erst mittelfristig möglich sein.

Warum ist die Rolle von Swissmedic bei den Medizinprodukten so wichtig: Gibt es Parallelen zu den Arzneimitteln?

Medizinprodukte werden nicht behördlich zugelassen. Der Fokus von Swissmedic liegt daher auf der Marktüberwachung. Medizinische Fachpersonen, aber auch die Wirtschaftsakteure sind gesetzlich verpflichtet, Swissmedic schwerwiegende Vorkommnisse mit Medizinprodukten zu melden – ebenso notwendige Korrekturmassnahmen wie beispielsweise einen Produktrückruf. Swissmedic prüft die vorgeschlagenen Massnahmen, publiziert die Sicherheitsmeldungen der Firmen und überwacht deren Umsetzung in der Schweiz. Bei Bedarf ordnet Swissmedic weitergehende Massnahmen an. Ergänzend überprüft Swissmedic aufgrund von Meldungen resp. durch Schwerpunktaktionen die Konformität von Produkten im Markt.

Wie sieht es mit der Versorgungssicherheit aus?

Da die Schweiz im Bereich der Medizinprodukte seit Ende Mai von der EU als Drittstaat eingestuft wird, gibt es sowohl negative Auswirkungen auf den Handel wie auch auf die Überwachung der Sicherheit der Produkte. Um eine geordnete Versorgung in der Schweiz aufrechtzuerhalten, ­anerkennt die Schweiz einseitig Bescheinigungen aus der EU. Für die für die Sicherheit notwendige Etablierung eines Bevollmächtigten für Hersteller aus der EU hat der Bundesrat längere Übergangsfristen definiert, welche eine Anpassung der Prozesse sowie allfällige Lieferantenwechsel ermöglichen sollen.

Was glauben Sie, wie sieht ein Medizinprodukt der Zukunft aus?

Die Palette der Medizinprodukte wird sich laufend erweitern. Es wird immer mehr komplexe Produkte mit interoperablen Software-Bestandteilen geben und auch die Zahl der Kombinationsprodukte, also Arzneimittel mit einem Medizinproduktebestandteil oder Medizinprodukte mit einem Arznei­mittel­bestandteil, wird weiter zunehmen. Es wird ergänzend zu den klassischen Medizinprodukten noch deutlich mehr komplexe Produkte wie Operationsroboter, Analysetools oder Wearables wie zum Beispiel Smartwatches zur Messung von medizinischen Parametern geben.

Karoline Mathys im Gespräch
Im Gespräch mit Karoline Mathys