Nachgeforscht

Fokus In-vitro-Diagnostika (IVD) Aus dem Innersten

In der Schweiz und im europäischen Wirtschaftsraum gibt es circa 500 000 verschiedene Medizinprodukte – rund 40 000 davon sind In-vitro-Diagnostika (IVD). Zusammen mit den wissenschaftlichen Mitarbeitenden Andreas Schlegel, Evelyn Aeschlimann und Einat Schmutz geht Visible diesem Medizinprodukt-Teilgebiet auf den Grund, beleuchtet die Produktentwicklung, den Marktzugang, die Überwachung sowie die neue Regulierung und nennt mögliche Produktinnovationen und Trends.

Beispiele Medizinprodukte

Was haben medizinische Implantate, Dialysegeräte, Herzschrittmacher, Dentalprodukte, Pflaster und Verbände, Sehhilfen, Röntgengeräte, Kondome, Schwangerschaftstests, Laborgeräte sowie Covid-19-Tests gemeinsam? Es sind Medizinprodukte, die von Swissmedic überwacht werden. Bevor sie in Verkehr gebracht werden, müssen sie bestimmte Anforderungen erfüllen und ein sogenanntes Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen. Bis zu einer halben Million verschiedene Produkte sind auf dem Markt erhältlich.

Beispiele In-vitro-Diagnostika

In-vitro-Diagnostika (IVD) sind eine Untergruppe der Medizinprodukte. «In-vitro-Diagnostikum bezeichnet ein Medizinprodukt zur In-vitro-Untersuchung von aus dem menschlichen Körper stammenden Proben wie zum Beispiel Blut oder Urin. Dabei handelt es sich um Tests, die zum Beispiel auf biologischen Untersuchungen basieren und helfen, den Gesundheitszustand eines Menschen zu kontrollieren, etwa Brustkrebstests, Blutzuckertests oder auch HIV-Tests», erklärt Evelyn Aeschlimann. «Hersteller mit Sitz in der Schweiz müssen ihre IVD-Produkte melden, wenn sie die Produkte erstmals in der Schweiz in Verkehr bringen.»

Die Bedeutung

Die Wichtigkeit des Themas lässt sich daraus erkennen, dass der Bund eine spezifische und separate rechtliche Basis für IVD kreierte. «Diese Basis bilden zwei Bundesratsverordnungen mit rechtlichen Bestimmungen. Das war ein grosses Projekt, das mehrere Personen von verschiedenen Behörden während Monaten beschäftigte», erinnert sich Andreas Schlegel. Federführend in diesem Verfahren war das Bundesamt für Gesundheit (BAG). «Swissmedic wurde vor allem beigezogen, um die Umsetzbarkeit im Vollzug zu prüfen.»

Der Marktzugang

500 000 Medizinprodukte – davon rund 40 000 IVD. Im Vergleich: Im Bereich Humanarzneimittel existieren in der Schweiz rund 5700 zugelassene Arzneimittel. «Anders als bei Arzneimitteln gibt es für Medizinprodukte keine behördliche Zulassung, denn das würde den Rahmen sprengen, sondern das System der Konformitätsbewertung. Bei diesem Verfahren wird nachgewiesen, dass die geltenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllt sind und ein akzeptables Nutzen-Risiko-Verhältnis besteht», erklärt Einat Schmutz. Bei Produkten höheren Risikos muss bei diesem Verfahren eine bezeichnete Stelle beigezogen werden. Die Swissmedic kommt bei der Bezeichnung und Überwachung dieser Stellen ins Spiel.

IVD Risikoklassen
Die Risikoklassen

Jedes IVD wird vor dem Inverkehrbringen in eine von vier Risikoklassen (A, B, C, D) eingeteilt, wobei die Klasse A Produkte mit einem geringen Risiko umfasst (siehe Box). «Dieses neue Vierklassensystem bringt insbesondere mit sich, dass im Rahmen der Konformitätsbewertung für erheblich mehr IVD als bisher eine bezeichnete Stelle beigezogen werden muss», erklärt Schmutz. Wo früher ein Grossteil der IVD mit einer reinen Selbstdeklarierung des Herstellers auf den Markt gebracht werden konnte, gilt das heute nur noch für die Klasse-A-Produkte, die etwa 20 % aller IVD ausmachen. Für Produkte der Klassen B, C und D ist eine bezeichnete Stelle beizuziehen. Dabei geht es in erster Linie um die Sicherheit der Produkte. «Ein zentraler Aspekt ist insbesondere die klinische Leistungsbewertung. Dafür müssen klinische Daten im Rahmen von Leistungsstudien erhoben werden. Im Fokus steht die Patientinnen- und Patientensicherheit», erklärt Einat Schmutz und präsentiert ein Beispiel aus dem Alltag: «Aufgrund der strengeren Anforderungen haben die Gen- und Krebstests in den Risikoklassen einen Sprung von der untersten in die zweithöchste Kategorie gemacht.»

Andreas Schlegel
Andreas Schlegel
Evelyn Aeschlimann
Evelyn Aeschlimann
Einat Schmutz
Einat Schmutz
Die Priorisierung

An erster Stelle steht immer die Patientensicherheit. «Am Anfang der medizinischen Behandlung geht es um das Krankheitsbild und die Diagnose. Wenn eine korrekte Diagnose vorliegt, steigen die Chancen für eine erfolgreiche Behandlung», stellt Andreas Schlegel klar. «Die Diagnose basiert auf den Ergebnissen, welche IVD liefern. Bei schwerwiegenden Vorkommnissen in Zusammenhang mit fehlerhaften Ergebnissen müssen wir uns deshalb immer überlegen, was die Konsequenzen für die Patientinnen und Patienten sind. Oder mit anderen Worten: Wir müssen das jeweilige Risiko abschätzen.»

Die Aufgaben von Swissmedic

Am Anfang steht die Bewilligung und Überwachung von Leistungsstudien mit IVD. Weiter müssen Schweizer Hersteller IVD bei Swissmedic melden, wenn sie diese in der Schweiz erstmals in Verkehr bringen. Kommt es im Zusammenhang mit Medizinprodukten zu schwerwiegenden Vorkommnissen, müssen diese bei Swissmedic gemeldet werden. Im Rahmen der Marktkontrolle prüft Swissmedic aufgrund von Meldungen oder Stichproben die Einhaltung der regulatorischen Vorgaben. Dies erfolgt aufgrund eingeforderter Dokumente oder von Inspektionen vor Ort. Bei Missachtung der Vorgaben kann Swissmedic Massnahmen anordnen, um den rechtmässigen Zustand wiederherzustellen. Dies können Änderungen in der Gebrauchsanweisung, Verbote oder Produktrückrufe sein. Schliesslich, neben weiteren Tätigkeiten, überwacht Swissmedic auch die Instandhaltung von IVD in Spitälern, wie zum Beispiel von Laborgeräten.

Die Fehlerquellen

Falsche Resultate, zu hoch oder zu tief gemessene Analyten, Herstellungsfehler, Kalibrierungsprobleme, falsche Beschriftungen, mechanische Probleme – die Liste möglicher Fehler ist lang. «Wichtig ist, dass die Dualität im Meldesystem gut funktioniert. Das bedeutet, dass sowohl Anwenderinnen und Anwender als auch Hersteller uns schwerwiegende Vorkommnisse mit IVD melden müssen. Die Meldung durch die Anwenderin oder den Anwender ist zentral, damit ein Versäumnis der Herstellerpflichten erkannt und eine Ursachenanalyse durch den Hersteller eingeleitet werden kann», erklärt Evelyn Aeschlimann. Ein Beispiel: Ein Spital findet heraus, dass zwei Covid-19-Tests falsch sind; hier muss die Meldung sowohl an Swissmedic als auch an den Lieferanten erfolgen. Die Meldefrist beträgt je nach Risiko 2, 10 oder 15 Tage. Seitens Anwenderin oder Anwender kann die Meldung von der anwendenden Fachperson oder einer sogenannten geeigneten sachkundigen Person (Vigilance-Kontaktperson) vorgenommen werden. Die Konsequenzen: Um den Fehler zu eru- ieren, muss der Hersteller eine Ursachenanalyse durchführen, indem er zum Beispiel das betroffene Produkt einsammelt und untersucht oder eine statistische Auswertung erstellt. «Damit er gegebenenfalls Massnahmen ergreifen kann», fügt Einat Schmutz hinzu.

Die Produktinnovationen

Wie in der gesamten Medizintechnik gibt es auch bei den IVD eine ständige Weiterentwicklung sowie Produkttrends. «Wir haben festgestellt, dass in den Labors viel automatisiert wird. Die Laborstrassen sehen manchmal aus wie miniaturisierte Eisenbahnsysteme», weiss Andreas Schlegel. «Ein Teilgebiet ist die Robotik; sie kann mithelfen, Fehler zu reduzieren und natürlich Kosten zu sparen.» Ein anderer Trend ist die Digitalisierung; Software wird immer wichtiger, auch für die Verarbeitung von grossen Datenmengen. Ein weiteres Beispiel sind die Gentests: «Das Wissen zum menschlichen Genom nimmt ständig zu. Das führt zu immer spezifischeren Untersuchungen, um eine möglichst genaue Diagnose zu stellen.» Andreas Schlegel erwartet zudem eine Zunahme der personalisierten Medizin, etwa durch die Verwendung von Gentests. Auch die Dezentralisierung schreitet voran: Mit Apps, die auf das Mobiltelefon geladen werden, gelangt die Medizintechnik näher und direkter zur Patientin bzw. zum Patienten.

«Das Wissen zum menschlichen Genom nimmt ständig zu. Das führt zu immer spezifischeren Unter- suchungen, um eine möglichst genaue Diagnose zu stellen.»

Andreas Schlegel
Die Neuregulierung

«Ein zentrales Element ist die Schaffung eines robusten Rechtsrahmens, der die Sicherheit der Produkte und deren Nutzen für Patientinnen und Patienten auf einem einheitlich hohen Niveau gewährleisten soll», fasst Einat Schmutz die neue Regulierung zusammen. Dabei entsprechen die heimischen Regulierungen dem europäischen System – inklusive der Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit von Produkten im Markt. «Auch die Rollenverteilung innerhalb der Lieferkette ist eindeutig geregelt, mit klaren Pflichten für die verschiedenen Akteure», ergänzt Einat Schmutz.

Die Rechtsordnung

Seit dem 26. Mai 2022 arbeitet Swissmedic nach den neuen Verordnungen. «Wenn ein Hersteller ein neues Produkt auf den Markt bringt, muss er sich an die neuen Anforderungen halten», erklärt Evelyn Aeschlimann. Gleichzeitig werden Leistungsstudien mit IVD in der Verordnung über klinische Versuche mit Medizinprodukten (KlinV-Mep) geregelt und nicht mehr in der Verordnung über klinische Versuche (KlinV). Einat Schmutz ergänzt zum Schluss: «Unter gewissen Voraussetzungen gelten für altrechtliche Produkte Übergangsbestimmungen, teilweise bis ins Jahr 2028. Das bedeutet, sie dürfen weiterhin nach altem Recht in Verkehr gebracht bzw. bereitgestellt oder in Betrieb genommen werden.»