Untersucht

Zulassung Vorbeugung statt Behandlung

Claus Bolte

Claus Bolte leitet den Bereich Zulassung bei Swissmedic. Er erklärt den Unterschied zwischen der Zulassung von Impfstoffen im Vergleich zu Arzneimitteln, beleuchtet die komplexe Herstellung bei Impfstoffen und erläutert die Situation der Versorgungssicherheit in der Schweiz.

Impfstoffe sind etwas besonderes

«Im Gegensatz zu Arzneimitteln werden beim Einsatz von Impfstoffen gesunde Kinder und Erwachsene versorgt. Es geht bei den Impfstoffen also nicht um die Behandlung, sondern um die Vorbeugung von Krankheiten. Die Anforderungen an Impfstoffe in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität sind – auch entsprechend internationaler Standards – enorm hoch. Man stelle sich vor: Eine einzige Zulassung beinhaltete bis vor kurzem zwei Lastwagenladungen voller Daten, die im Detail geprüft werden müssen – heute werden diese digital eingelesen und verarbeitet. Sie werden automatisch zugeteilt und an unser interdisziplinäres Case-Team weitergegeben. Dieses begutachtet die Ergebnisse aller klinischen Studien und überprüft die jeweilige Impfstoffentwicklung vor der Freigabe auch auf mögliche immunologische Probleme sowie die Herstellungsqualität. Das Case-Team besteht aus Toxikologen, Pharmazeuten, Chemikern, Pharmakologen und Medizinern. Während der Begutachtung werden noch Fragen an die Hersteller gestellt oder schriftliche Bedenken formuliert.

Die Hersteller müssen die Fragen oder Bedenken anschliessend innert vorgegebener Frist beantworten beziehungsweise ausräumen – ansonsten gibt es keine Zulassung. Erst danach ist das Review beendet und die Impfstoffe werden zugelassen.»

«Da in der Schweiz keine Hersteller von Impfstoffen mehr existieren, sind wir abhängig von den ausländischen Produzenten.»

Die Herstellung von Impfstoffen ist besonders komplex

«Ein Impfstoff besteht aus Antikörpern, die aus lebenden Zellen gewonnen werden. Ob Polio, Tuberkulose, Röteln oder Mumps – jeder Impfstoff beruht auf einem komplexen Verfahren. Bis vor kurzem wurden Impfungen mehrheitlich einzeln durchgeführt – erst in den letzten Jahren wurden sie vor allem für die Basisimpfungen bei Kindern zusammengefasst und immer mehr miteinander kombiniert; das nennt man polyvalente (Mehrfach-) Impfstoffe. Dieser Vorgang ist in Bezug auf die Herstellung nochmals komplexer und vom Aufwand her in etwa vergleichbar mit der Herstellung eines Kleinwagens. Ein zusätzliches Problem ist, dass diese Substanzen in verschiedenen Ländern hergestellt und abgefüllt werden. Da in der Schweiz keine Hersteller von Impfstoffen mehr existieren, sind wir abhängig von den ausländischen Produzenten. Schweizer KMUs, die früher Impfstoffe herstellten, wurden mittlerweile aufgekauft oder haben die Forschung und Produktion eingestellt. Wir können keine Unternehmen zwingen, Impfstoffe in der Schweiz zu produzieren. Die Grosskonzerne teilen sich heute den Markt auf. Ein weiteres Problem ist, dass der Schweizer Markt für die Produzenten sehr klein und umständlich ist. Es gibt keinen zentralen Einkauf und die Aufmachung sowie die Beipackzettel müssen in drei Landessprachen gestaltet werden. Die Versorgungsengpässe existieren im Übrigen nicht nur bei den Impfstoffen, sondern zunehmend auch bei anderen Arzneimitteln – besonders ausgeprägt ist dies bei Antibiotika.»

«Es geht bei den Impfstoffen nicht um die Behandlung sondern um die Vorbeugung von Krankheiten.»

Die Versorgungssicherheit ist eine heikle Angelegenheit

«Pro Jahr landen zwischen 12 000 und 15 000 Zulassungsgesuche bei uns – diese werden von insgesamt 150 Mitarbeitenden geprüft. Dabei handelt es sich beispielsweise um Neuzulassungen, Indikationser­wei­terungen oder Änderungen von Zusammensetzungen und Herstellungsmethoden. Die Impfstoffe machen weniger als zwei Prozent aus. Die Abhängigkeit vom internationalen Markt führt zu besagten Versorgungsengpässen, die in der Öffentlich­keit oftmals mit Unverständnis aufgenommen werden.

«Die Impfstoffe machen weniger als zwei Prozent aller Zulassungsgesuche bei Swissmedic aus.»

Wir von Swissmedic werden dabei häufig angeschuldigt, nicht genügend Impfstoffe zuzulassen. Tatsache aber ist, dass viele Impfstoffe zuerst leider gar nicht bei uns per Zulassungsgesuch eingereicht wurden.»

«Die Anforderungen an Impfstoffe in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität sind enorm hoch.»