Die Firma Alkopharma vertrieb zwischen 2007 und 2011 ein Krebsmedikament, dessen Ablaufdatum bereits überschritten war. Mit neu etikettierten Verpackungen versuchte das Unternehmen aus Martigny dies zu verschleiern. Problematisch: Das Mittel entfaltete nur noch eine reduzierte Wirkung und wurde auch bei Kindern eingesetzt. Das Gericht verurteilte die Verantwortlichen verhältnismässig mild – eine konkrete Gesundheitsgefährdung habe nicht bestanden. Eine Rückschau aus der Sicht von Swissmedic.
Der Fall
Der Fall sorgte schweizweit für Aufsehen: Um abgelaufene Dosen eines Krebsmittels weiter zu verkaufen, fälschte Alkopharma die Etiketten auf den Verpackungen. Das mittlerweile konkursite Walliser Unternehmen lieferte zwischen 2007 und 2011 mehr als 100 000 Ampullen mit abgelaufenen Medikamenten aus. Der Grossteil ging nach Frankreich, knapp 2500 Dosen landeten aber in Schweizer Spitälern. Das Arzneimittel wurde in Deutschland hergestellt, in Martigny fertig verpackt und von dort nach Frankreich an den Grosshändler verschickt, wo es auch zugelassen war.
Das Walliser Kantonsgericht verurteilte die Verantwortlichen 2016 zu bedingten Geldstrafen und Bussen. Es war der Ansicht, dass keine konkrete Gefährdung der Patientengesundheit vorgelegen habe. Swissmedic war anderer Meinung und zog das Urteil deshalb ans Bundesgericht weiter. Dieses bestätigte in seiner Beurteilung die Ausführungen des kantonalen Gerichts. Es konnten keine klaren Beweise für eine Gefährdung der Gesundheit ausgemacht werden. Ein aus der Sicht von Swissmedic erstaunliches Fazit, da in einzelnen Chargen nur noch rund 85 Prozent des Wirkstoffes enthalten waren. Zudem war eine hohe kriminelle Energie auszumachen: Von insgesamt knapp 130 000 verkauften Ampullen waren fast 100 000 mit gefälschten Etiketten versehen. Bei der Aufarbeitung der Herstellerdokumentation wurde deutlich, dass viel Zeit und Energie in die Fälschung der Unterlagen investiert wurde. Ausserdem wurden auch die Angaben zu den Probeentnahmen gezielt manipuliert. Als Hauptmotiv wurden finanzielle Anreize ausgemacht. Der Preis einer Ampulle auf dem Markt betrug ca. 100 Euro. Für eine Behandlung waren mehrere Vials (Fläschchen) nötig.
Die Sicht des Untersuchungsleiters Olivier Flechtner
«Für uns war dieser Fall in vielerlei Hinsicht spannend und herausfordernd. Es war mein erster Fall im Strafrechtsdienst von Swissmedic. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem das Verfahren gegen Alkopharma begann: Es war der 16. September 2011, als die Anzeige aus Frankreich eintraf. Zwölf Tage später führten wir mit Unterstützung des Bundesamtes für Polizei und dem zuständigen kantonalen Polizeikorps Hausdurchsuchungen in den Schweizer Kantonen Wallis, Waadt und Genf durch. Die Hausdurchsuchung in der Firma und die ersten Einvernahmen fanden unter schwierigen Bedingungen statt, da sich vor allem die hauptverdächtige Person gänzlich unkooperativ zeigte und sich dies auch auf die Haltung der Angestellten auswirkte.
Die Untersuchung war sehr aufwendig und komplex. Wir mussten den gesamten Warenfluss seit 2005 rekonstruieren, um zu verstehen, was genau passiert war und wie die abgelaufenen Arzneimittel wieder in Verkehr gebracht worden waren. Das Labor von Swissmedic untersuchte die Fläschchen, welche nur noch einen Teil des Wirkstoffs enthielten. Es konnten jedoch keine Abbauprodukte nachgewiesen werden. Man stellte hingegen fest, dass der Wirkstoff mit den Gummistopfen der Vials eine Verbindung eingegangen war. IT-Spezialisten konnten nachweisen, dass die gefälschten Dokumente auf dem Computer der Hauptbeschuldigten erstellt und auf einem USB-Stick gespeichert worden waren, den wir bei ihr zu Hause gefunden hatten. Das vom Kriminalistischen Institut in Lausanne erstellte Gutachten belegte ausserdem, dass die gefälschten Dokumentationen auf dem Drucker im Büro der Hauptbeschuldigten gedruckt worden waren.
«Der uneinsichtige Auftritt der Beschuldigten machte mich fassungslos.»
Das Verfahren dauerte insgesamt fünf Jahre; es kam zu zahlreichen Einvernahmen. Die hauptverdächtige Person verweigerte in dieser Zeit konsequent die Aussage und gab nur zu Protokoll, dass sie nichts zu sagen habe. Dieser uneinsichtige Auftritt der Beschuldigten machte mich fassungslos. Erst vor Gericht sagte sie schlussendlich aus.
Das Walliser Bezirks- und danach auch das Kantonsgericht verurteilten die Betriebsleiterin des Standorts Martigny zu einer bedingten Geldstrafe, den Firmeninhaber sogar nur zu einer Busse, da keine konkrete Gesundheitsgefährdung bestanden habe – wir hätten nicht nachweisen können, dass ein Patient deswegen nicht geheilt worden wäre. Das war unserer Ansicht nach aber eine falsche Argumentation, da dies nicht mehr eine Gefährdung der Gesundheit gewesen wäre, sondern bereits eine Körperverletzung.
Darum zogen wir das Urteil bis ans Bundesgericht weiter. Leider wies dieses unsere Beschwerde ab und stützte den Entscheid des Kantonsgerichts. Die Begründung: Das abgelaufene Medikament komme jeweils in Kombination mit weiteren Präparaten mit der gleichen Wirkung zur Anwendung – die Genesungschancen der Patienten seien folglich intakt geblieben.
Das letztinstanzliche Urteil war für uns ernüchternd. Wir mussten aber auch akzeptieren, dass wir alles in unserer Macht stehende unternommen und Grenzen ausgelotet hatten – mehr konnten wir als Strafverfolgungsbehörde von Swissmedic nicht tun. Umso mehr ist für uns von Bedeutung, dass seit dem 1. Januar 2019 eine neue rechtliche Grundlage im Heilmittelgesetz verankert ist. Heute würde der Fall darum vermutlich anders beurteilt werden.»
Neue Strafrechtsbestimmungen
Seit dem 1. Januar 2019 werden Tatbestände wie der hier beschriebene härter bestraft, da keine konkrete Gesundheitsgefährdung mehr nachgewiesen werden muss. Die Strafandrohung ist dann eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Bei einer gewerbsmässigen Begehung beträgt das Strafmass neu sogar bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Zudem wird die Verfälschung von Arzneimitteln und Medizinprodukten als eigenständiger Tatbestand explizit erwähnt.