Michaela Bürge

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Einheit Medical Devices Vigilance untersucht Michaela Bürge schwerwiegende Vorkommnisse mit Medizinprodukten. So auch den Fall eines Herstellers aus den USA.

«Mein neuster Fall betraf eine Herstellermeldung zu einem schwerwiegenden Vorkommnis in der Schweiz. Im Rahmen der Fallbearbeitung machte ich mich mit der Aufklärung des Ereignisses vertraut. Mit Spannung begann ich das gesamte Material zu durchforsten. Das betroffene Spital hatte uns das Vorkommnis ebenfalls gemeldet: Bei einem Patienten kam es zu einer postoperativen Dislokation eines Wirbelsäulenimplantats – ein folgenschwerer Vorfall.

Der amerikanische Hersteller führte daraufhin eine Ursachenanalyse durch und verfasste einen Abschlussbericht mit den Untersuchungsergebnissen. Nun galt es, diesen Bericht genau unter die Lupe zu nehmen. Beim Abgleich mit unserer Datenbank für Vigilance-Fälle fiel mir auf, dass in der Schweiz bereits mehrere schwerwiegende Vorkommnisse mit diesem Wirbelsäulenimplantat aufgetreten sind. Die Problembeschreibungen ähnelten dabei jenen des vorliegenden Falls – meine Zweifel wurden grösser. Hinzu kam die unvollständige Ursachenanalyse des Herstellers. Infolgedessen forderte ich zusätzliche Unterlagen beim Hersteller an.

Die darauffolgende Evaluation des Materials zeigte, dass die im Feld beobachtete Auftretenswahrscheinlichkeit von Fällen mit Dislokation für dieses Produkt deutlich über der erwarteten Auftretenswahrscheinlichkeit gemäss Risikoanalyse des Herstellers lag. Ich verlangte eine Stellungnahme vom Hersteller. Überdies sollte das Unternehmen seine korrektiven und präventiven Massnahmen darlegen, womit dem beobachteten Problem hätte entgegengetreten werden können. Die Antwort war ernüchternd. Der Hersteller war nicht bereit, Massnahmen in die Wege zu leiten. Die Begründung: Das übergreifende Risikolevel läge im akzeptablen Bereich und die Verkaufszahlen wären noch nicht aussagekräftig.

«Die klinische Bewertung war ungenügend und wies kritische Mängel auf.»

Das wollten und konnten wir so nicht akzeptieren. Ich forderte die klinische Bewertung des betroffenen Produkts (CER) beim Hersteller an. Zusammen mit Isabel Scuntaro, einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Einheit «Klinische Versuche und Spitäler», beurteilte ich den CER. Wir kamen zum selben Fazit: Der CER war ungenügend und wies kritische Mängel auf. Als Folge darauf reichte ich eine Verdachtsmeldung bei der Einheit «Marktkontrolle Medizinprodukte» ein. Dort wurde der Fall von Michael Köhli, einem Inspektor, erneut evaluiert und nach einer gemeinsamen Besprechung fassten wir den Entschluss, ein Amtshilfegesuch (COEN) bei der zuständigen europäischen Behörde und der Konformitätsbewertungsstelle einzureichen. Darin baten wir um eine Bewertung des geschilderten Sachverhalts und die Einleitung entsprechender Mass­nahmen.

Da der Hersteller des Produkts in den USA beheimatet war, galt als zuständige europäische Behörde dasjenige Land, wo der EU-Bevollmächtigte (AR) seinen Sitz hat. Die zuständige Behörde verlangte eine Stellungnahme des US-Herstellers. Diese wurde eingereicht, ohne dass weitere Massnahmen ergriffen wurden. In Anbetracht des vom Produkt ausgehenden Risikos entschieden wir, eigene Schritte für den Schweizer Markt einzuleiten – das Produkt wurde in der Schweiz verboten. Dieses Verbot führte im Endeffekt dazu, dass der Hersteller das Produkt weltweit vom Markt nahm.»