Sondiert

Interview mit Swissmedic Institutsratspräsident Lukas Bruhin «Wir halten, was wir versprechen»

Seit dem 1. August 2020 führt Lukas Bruhin als Präsident den siebenköpfigen Institutsrat von Swissmedic. Der Institutsrat ist gemäss Heilmittelgesetz das strategische Organ von Swissmedic und übt die Aufsicht über die Geschäftsleitung aus. Obwohl nicht für Zulassungsentscheide zuständig, spürt auch er die Erwartungshaltung, damit Covid-19 Impfstoffe in der Schweiz möglichst schnell zur Verfügung stehen. Lukas Bruhin sieht den Institutsrat auch hier als Sparringpartner, Impulsgeber und Impulsnehmer.

Das Interview führten Danièle Bersier und Lukas Jaggi

Swissmedic hat bis Anfang Dezember 2020 vier Zulassungsgesuche für Covid-19 Impfstoffe erhalten und mit jeder Einreichung steigt der Druck – wie nehmen Sie die Erwartungen der Öffentlichkeit wahr?

Swissmedic ist exponiert, die Haltung gegenüber Covid-19 Impfstoffen ist sehr unterschiedlich. Einigen kann es nicht schnell genug gehen, bis ein erster Impfstoff zugelassen wird, andere haben Bedenken wegen der Sicherheit. Die Swissmedic Expertinnen und Experten arbeiten sehr schnell und zielgerichtet und können gleichzeitig mit diesem Druck umgehen. Sie setzen den Auftrag des Gesetzgebers um: ein Impfstoff wird zugelassen, wenn er sicher, wirksam und qualitativ einwandfrei ist. Selbstverständlich behandelt Swissmedic diese Gesuche prioritär und tauscht sich mit ausländischen Zulassungsbehörden aus. So, dass deren Erkenntnisse auch in der Schweiz in den Entscheidungsfindungsprozess einfliessen. Stets gilt aber: Bei der Sicherheit dürfen keine Abstriche gemacht werden, auch nicht zugunsten der Geschwindigkeit.

Gibt es in der Schweiz keine Möglichkeit, Impfstoffe vorzeitig in Verkehr zu bringen wie in anderen Ländern?

Bundesrat und Parlament haben bei der Verabschiedung der Covid-19 Gesetzgebung ausdrücklich darauf verzichtet, Impfstoffe in der Schweiz vorzeitig, ohne Zulassung, in Verkehr zu bringen. Das ist bei Impfstoffen besonders wichtig, da sie vor allem gesunden Menschen vorbeugend verabreicht werden. Hingegen kennt die Schweiz eine befristete Zulassung oder eine Zulassung mit Auflagen.
Mit der rollenden Überprüfung und der differenzierten Begutachtung kann Swissmedic die von den Firmen eingereichten Datenpakete laufend prüfen und Entscheide sehr rasch fällen. Das heisst, es wird zeitlich schnell geprüft, aber genauso sorgfältig. Mit diesen Instrumenten kann Swissmedic einen Zulassungsentscheid im Takt mit ausländischen Behörden treffen, wenn die nötigen Datenpakete vorliegen. Wann Swissmedic Impfstoffe gegen das neuartige Coronavirus zulassen kann, hängt aber massgeblich von der Qualität und Vollständigkeit der Zulassungsstudien ab. Die Zulassungen werden voraussichtlich gestaffelt erfolgen, indem Impfstoffe zunächst für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, für die genügend Daten vorhanden sind, zugelassen werden.

Kann Swissmedic ihre Zulassung nicht einfach auf ausländische Entscheide abstützen?

Swissmedic lässt, wie erwähnt, Erkenntnisse von vergleichbaren ausländischen Behörden im Rahmen des geltenden Heilmittelrechts schon heute in ihre Entscheide einfliessen. Und ich bin froh, dass der Gesetzgeber schon früh erkannt hat, dass die internationale Zusammenarbeit immer wichtiger wird und Swissmedic hierzu auch gesetzliche Möglichkeiten eingeräumt hat, die wir ausnützen. Swissmedic ist aktiv in ein internationales Netzwerk eingebunden, so dass die Begutachtungszeit auch durch Synergieeffekte beschleunigt werden kann. Swissmedic und ihre Partnerbehörden spiegeln ihre jeweiligen Analysen und Zwischenergebnisse regelmässig. Auch nach der Marktzulassung von Covid-19 Impfstoffen wird der weltweite Austausch über mögliche Langzeitnebenwirkungen, die zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht bekannt waren, die Arzneimittelsicherheit erhöhen.

Sie waren Leiter des Krisenstabs des Bundesrats zur Bewältigung der Corona-Krise. Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?

Ganz allgemein können wir in der Schweiz froh sein, dass wir öffentliche und private Institutionen haben, die solide sind und gut funktionieren.
Institutionen, in denen motivierte und engagierte Leute arbeiten. Wir haben es in der ersten Welle fertiggebracht, dass in kürzester Zeit einerseits Massnahmen für den Schutz der Gesundheit beschlossen werden konnten. Andererseits konnten wir finanzielle Massnahmen und Mittel zur Verfügung stellen. Wir haben, so glaube ich, klar und verständlich kommuniziert, ohne Panik, haben aber trotzdem auf die Dringlichkeit der Situation hingewiesen. Wir haben Massnahmen ergriffen, die nachvollziehbar und wirksam waren und die von der Bevölkerung akzeptiert wurden.

Swissmedic hat sich zum Ziel gesetzt, sichtbarer zu werden. Was erwarten bzw. wünschen Sie sich in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung?

Swissmedic ist ein Institut des öffentlichen Rechts, mit einer hoheitlichen Aufgabe. Damit verbunden ist die Verpflichtung, der Öffentlichkeit zu erklären, wie Swissmedic ihren Auftrag erfüllt und weshalb. Ziel der Kommunikation von Swissmedic ist es, die Nachvollziehbarkeit der Entscheide und das Vertrauen in die Arbeit des Instituts zu stärken und sichtbarer zu machen. Wir wollen nicht Visibilität, damit wir «gesehen» werden. Was wir wollen ist, dass wir auch durch unsere Kommunikation einen Beitrag zum Vollzug des Heilmittelgesetzes und letztlich zum Wohl der Patientensicherheit und der Konsumentinnen und Konsumenten leisten können.

Lukas Bruhin im Gespräch
Lukas Bruhin im Gespräch
Als ehemaliger Generalsekretär im EDI kennen Sie Swissmedic. Wie haben Sie Swissmedic in Ihrer damaligen Funktion wahrgenommen?

Swissmedic habe ich als sehr kompetente, unabhängige Fachbehörde wahrgenommen, die ihre Arbeit sehr gut macht – eine Expertenorganisation, die aber in einem gewissen Wettbewerb mit anderen Zulassungsbehörden steht.
Swissmedic ist eine Organisation, die sehr gute Fachleute anzieht und in welcher die Mitarbeitenden sich gern engagieren. Das Institut muss sich aber gegenüber anderen Akteuren und Verwaltungseinheiten des Gesundheitswesens noch stärker profilieren und besser erklären, was sein Auftrag ist. Ziel ist es, dass Swissmedic dort, wo sie vom Vollzug betroffen ist, auch frühzeitig einbezogen wird. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im Rechtsetzungsprozess muss man an Swissmedic denken und ihre Stimme zu den Auswirkungen im Vollzug auch hören. Hier gibt es noch Optimierungspotential.

Wo sehen Sie die Stärken von Swissmedic?

Es ist die Verlässlichkeit und Qualität ihrer Arbeit und gleichzeitig die im Vergleich mit anderen Zulassungsbehörden gute Geschwindigkeit in der Zulassung – wir halten, was wir versprechen, wir sind effizient. Eine weitere Stärke sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Swissmedic. Ich habe verschiedene Abteilungen besucht. Überall ist mir aufgefallen, dass die Mitarbeitenden stolz sind, für Swissmedic arbeiten zu dürfen. Sie sind überzeugt, etwas Wichtiges und Sinnvolles zu leisten. Das ist auch ein Grund, weshalb viele Mitarbeitende seit Jahren bei Swissmedic arbeiten, und Swissmedic gleichzeitig immer neue, kompetente Mitarbeitende rekrutieren kann.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für Swissmedic?

Darüber könnten wir stundenlang diskutieren. Abgesehen von den aktuellen Herausforderungen, die die Pandemie mit sich bringt, ist es sicherlich einerseits die technologische Entwicklung, die auch an den Heilmitteln nicht vorbeigeht. Die Konvergenz von Arzneimittel und Medizinprodukt, die neuen Therapiearten und Transplantatprodukte. Im Bereich der Medizinprodukte wird Swissmedic zukünftig zusätzliche neue Aufgaben übernehmen, aber ich glaube, wir schreiten hier mit den Vorbereitungsarbeiten gut voran.

Andererseits ist es die digitale Transformation.
Ich habe den Eindruck, dass Swissmedic im Vergleich mit anderen Bundeseinheiten hier gut unterwegs ist. Auch der Dialog mit den Firmen, die Zulassungsgesuche stellen, ist sehr professionell. Die Prozesse werden laufend verbessert und beschleunigt, ohne die Prüfungsdichte und den Prüfungsumfang in frage zu stellen. Geschwindigkeit und Austausch sind wichtig. Das wird auch in Zusammenhang mit der möglichen Zulassung eines Covid-Impfstoffes deutlich. Hier wird klar, wie wichtig es ist, im Rahmen der «rolling submission» frühzeitig mit der Gesuchstellerin in Dialog zu treten.

Eine weitere Herausforderung ist es, genügend qualifizierte und kompetente Mitarbeitende zu rekrutieren. Das ist wichtig für die Zukunft; wir haben bei Swissmedic Abteilungen, in denen in den nächsten drei bis fünf Jahren 25 Prozent der Mitarbeitenden pensioniert werden. Wir müssen frühzeitig dafür sorgen, dass wir neue motivierte und qualifizierte Mitarbeitende und Experten für uns gewinnen können. Wir werden auch Leute mit anderen Kompetenzen brauchen: Vieles, was früher «von Hand» erledigt wurde, wird in Zukunft automatisiert. Vermehrtes interdisziplinäres Denken ist gefordert. Die neuen technologischen Entwicklungen halten sich nicht an die Zuständigkeiten, wie wir sie bei Swissmedic definiert haben. Es ist eine grosse Herausforderung, à jour und auch wettbewerbsfähig gegenüber anderen Zulassungsbehörden zu bleiben. Wir wollen die Schweiz als Standort für Zulassungsgesuche gut positionieren. Das ist auch im Sinne der Versorgung der Schweiz mit Heilmitteln.

Und natürlich die Corona-Pandemie: Das ist eine riesige Herausforderung. Nicht allein die Impfstoffzulassung ist eine Herausforderung. In sehr kurzer Zeit muss sehr viel neu beurteilt und zugelassen werden: Medikamente und klinische Versuche. Betriebsbewilligungen müssen ausgestellt werden, die Marktüberwachung, das heisst die Überprüfung der Produkte, die auf dem Markt sind, muss sichergestellt werden.

Was können Sie als Präsident oder der Institutsrat beitragen, um diese Herausforderungen zu bewältigen?

Der Institutsrat hat eine gesetzlich klar umschriebene Aufgabe. Wir müssen diese sinnvoll und gut wahrnehmen. Der Institutsrat soll Sparringpartner der Geschäftsleitung sein, er soll den Dialog mit der Geschäftsleitung über die kommenden Herausforderungen führen. Das ist eine zentrale Aufgabe. Wir müssen gemeinsam überlegen, was die technologischen Entwicklungen im Umfeld von Swissmedic für das Institut im Alltag bedeuten. Was heisst das für die Revision der strategischen Ziele des Instituts, was müssen wir anpassen, um für die künftigen Herausforderungen gerüstet zu sein. Hier hat der Institutsrat eine wichtige Rolle als Impulsgeber.
Und dann sind da natürlich die weiteren gesetzlichen Aufgaben: die Auswahl von Geschäftsleitungsmitgliedern, der Dialog mit den wichtigsten Stakeholdern, damit wir wissen, welche Anforderungen an Swissmedic gestellt werden. Damit wir diese aufnehmen und wo möglich auch umsetzen können. Das sind die verschiedenen Aspekte, sehr ähnlich wie bei einem Verwaltungsrat eines privaten Unternehmens.

«Eine weitere Stärke sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Swissmedic.»

Wo sehen Sie die Herausforderung für Swissmedic, als mittelgrosse, effiziente und kompetente Behörde weiterhin im internationalen Umfeld bestehen zu können?

Mittelgross zu bleiben und gleichwohl den gesetzlichen Auftrag in allen Bereichen gut, speditiv und wirksam wahrnehmen zu können. Diese Triangulation wird extrem schwierig. Ich glaube, hier sind wir an einem Scheideweg. Wir werden uns beispielsweise international noch stärker koordinieren und abstimmen, Informationen und Grundlagen von gleichwertigen ausländischen Behörden ernst nehmen und Kooperationen suchen beziehungsweise eingehen. Swissmedic muss nicht zwingend alles alleine machen.
Einiges hängt auch von den Entwicklungen in Zusammenhang mit dem institutionellen Rahmenabkommen ab. Das ist eine weitere Herausforderung, die in der Öffentlichkeit nicht überall gleichermassen präsent ist.

Das Verhältnis Schweiz-EU betrifft unsere Aufgabe sowohl im Bereich Medizinprodukte als auch bei den Arzneimitteln. Wenn wir als Swissmedic, insbesondere bei der Marktüberwachung, keinen Zugang mehr zu den Datenbanken der europäischen Partner hätten – namentlich bei den Medizinprodukten – dann müssten wir eine eigene Organisation aufbauen. Das wäre ein riesiger Aufwand. Und es wäre fraglich, ob das hohe Schutzniveau auch weiterhin gewährleistet werden könnte.

Swissmedic ist eine Arzneimittelzulassungsbehörde. In der Schweiz werden aber auch sehr viele Medizinprodukte hergestellt oder importiert. Hier spielt Swissmedic eine wichtige Rolle bei der Überwachung. Wir stellen zum Beispiel sicher, dass die Konformitätsbewertungsstellen korrekt arbeiten. Die Branche sucht den Dialog mit Swissmedic und schätzt den Kontakt. Das möchte ich zusammen mit dem Direktor von Swissmedic weiterentwickeln und den Dialog mit den Verbänden noch etwas stärker institutionalisieren – auch zum Beispiel mit den Patientenorganisationen.

Swissmedic werden immer wieder Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zugeordnet, die nicht in ihren Aufgabenbereich fallen. Wie kann sich Swissmedic positionieren, um solche Fehladressierungen zu verhindern?

Sie sprechen vorab die Frage der Preise für die Arzneimittel an. In der Branche und in der Politik ist man sich durchaus bewusst, dass Swissmedic zwar die Arzneimittel zulässt, nicht aber den Preis festsetzt. Natürlich ist durch die Zulassung die Türe offen für die Aufnahme auf die Spezialitätenliste. Aber Swissmedic wird in den Kreisen, die es wissen, nicht primär für die Preise verantwortlich gemacht. Wenn es in der breiten Öffentlichkeit gewisse Missverständnisse gibt, so kann man das zur Kenntnis nehmen. Eine grosse Informationskampagne muss man aber deswegen nicht starten. Mindestens in meiner Wahrnehmung ist das nicht die grösste Herausforderung, die Swissmedic hat. Sinnvoll ist es aber sicherlich, immer wieder das Gesamtsystem zu erklären, sonst heisst es schnell, die Behörden spielen sich gegenseitig den Ball zu.

Swissmedic ist ein Teil der gesundheitspolitischen Institutionenlandschaft mit einem spezifischen Auftrag und spezifischen Unabhängigkeiten.
Unabhängig heisst nicht, dass wir taub sind für sachlich begründete Anliegen, die an uns herangetragen werden, oder dass wir nicht sehen, was an gesundheitspolitischen Themen ansteht. Wir sind vernetzt und verschliessen nicht die Augen vor Themen, die links oder rechts vor der Türe stehen.

Wohin wollen Sie Swissmedic führen? Welches unternehmerische Ziel verfolgen Sie mit Swissmedic?

Wir haben einen gesetzlichen Rahmen, in welchem wir uns bewegen. Meine Vorstellung ist, dass wir auch in zehn Jahren diesen gesetzlichen Rahmen mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen im Interesse der Gesundheit der Schweizer Bevölkerung gut wahrnehmen können. Unser Credo muss sein: Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Heilmittel. Das muss im Vordergrund stehen. Und dazu müssen wir stehen, wenn wir ein Arzneimittel für die Schweiz zulassen. Prüfen und immer wieder verbessern können wir die Art und Weise, wie wir das machen und dabei lassen wir uns gerne auch hinsichtlich Effizienz international vergleichen.
Swissmedic wird zudem Vorreiterin im Bereich der digitalen Transformation sein. Wir nutzen die digitalen Instrumente in allen Bereichen.
Swissmedic wird eine Institution bleiben, in der die Mitarbeitenden sehr gern arbeiten. Sie übernehmen mit ihrer Aufgabe eine wichtige und sinnhafte Rolle.

Gibt es etwas, was wir Sie nicht gefragt haben, Sie aber den Leserinnen und Lesern von Visible gerne mitteilen möchten?

Was die Finanzmarktaufsicht (FINMA) für den Finanzplatz, ist Swissmedic gewissermassen für die Heilmittelindustrie. Und diese Heilmittelindustrie wird für die Schweiz immer wichtiger.
Darum wird auch unsere Aufgabe immer wichtiger.

Lukas Bruhin im Gespräch