Deshalb braucht es die Pharmacovigilance
«Swissmedic ist für die Überwachung der Arzneimittelsicherheit verantwortlich. Eine Meldepflicht an Swissmedic besteht für die Pharmaindustrie und für medizinische Fachpersonen wie zum Beispiel Ärzte oder Apotheker, die Heilmittel abgeben oder anwenden. Die Pharmacovigilance ist aber nicht nur aus gesetzlicher Sicht wichtig, sondern auch aus ethischen Gründen: Mit Meldungen werden unsere Kenntnisse über das Sicherheitsprofil eines Arzneimittels verbessert und so können zukünftige Patientinnen und Patienten besser vor negativen Folgen einer Behandlung geschützt werden. Deshalb ist es essenziell, dass vor allem schwerwiegende und bislang unbekannte Arzneimittelwirkungen gemeldet werden. Leider ist die Dunkelziffer versäumter Meldungen immer noch sehr hoch. Wir vermuten unterschiedliche Gründe: Unwissenheit über das bestehende Meldesystem und die gesetzliche Meldepflicht, schlechtes Gewissen wegen Verschreibung oder Abgabe eines Medikaments mit Nebenwirkungen, administrativer Zusatzaufwand, Bedenken vor rechtlichen Konsequenzen etc. Es ist zentral, dass alle Fachpersonen aus dem medizinischen Umfeld zur Arzneimittelsicherheit beitragen. In den vergangenen Jahren haben wir diesbezüglich viel Aufklärungsarbeit geleistet und die medizinischen Fachpersonen mit Publikationen zur Meldepflicht sensibilisiert – es braucht aber noch mehr Engagement von allen Seiten.»
So funktioniert das Meldesystem in der Schweiz
«Per 1. Januar 2021 wurde das Meldesystem für medizinische Fachpersonen angepasst. Diese meldeten Nebenwirkungen bis Ende 2020 an die regionalen Pharmacovigilance-Zentren in den Unispitälern der Kantone Genf, Waadt, Bern, Basel-Stadt, Zürich sowie Tessin. Dort wurden die Meldungen zuerst eingehend begutachtet und bearbeitet, bevor sie von den Abteilungen für klinische Pharmakologie an uns weitergeleitet wurden. Seit Beginn dieses Jahres melden Ärztinnen, Apotheker sowie Patientinnen und Patienten unerwünschte Arzneimittelwirkungen direkt an Swissmedic. Unser interdisziplinäres Expertenteam überprüft diese und entscheidet, welche Meldungen extern weiterverfolgt werden müssen und beauftragt danach die genannten regionalen Pharmacovigilance-Zentren damit. Aufgrund dieser Triage durch unsere Abteilung werden Meldungen identifiziert, die neue Erkenntnisse liefern könnten. Eine Meldung zu einem Hautausschlag als Nebenwirkung eines Antibiotikums weist zum Beispiel kaum auf ein neues Risiko hin. Nicht verändert hat sich im neuen Jahr der Meldeweg für die Pharmaindustrie, welche schon vorher direkt an uns gemeldet hat.»
«Im Fokus der Arzneimittelsicherheit steht das Finden neuer Risiken und nicht das Verwalten bekannter Begleiterscheinungen.»
Wann eine Meldung aufgenommen wird
«Damit eine Meldung von medizinischen Fachpersonen oder Patienten von uns weiterverfolgt werden kann, müssen vier Kernelemente gegeben sein: Der Name des Medikaments ist bekannt; eine Information zum Patienten ist verfügbar (zum Beispiel Altersgruppe, Geschlecht), mindestens eine konkrete unerwünschte Arzneimittelwirkung ist aufgetreten (zum Beispiel Ausschlag, Durchfall) und es liegen Informationen zur meldenden Person vor. Wichtig ist, dass kein Kausalzusammenhang zwischen einem Ereignis und dem Medikament nachgewiesen werden muss – der Verdacht reicht aus, um eine Meldung einzureichen.»
So sieht ein konkretes Beispiel aus
«Ende 2018 erreichte uns im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit eine Warnung, dass ein bekanntes Diuretikum, ein Medikament zur Entwässerung, hellen Hautkrebs hervorrufen könnte. Diese Formen von Hautkrebs sind zwar weniger gefährlich als beispielsweise das Melanom, aber dennoch sehr ernst zu nehmen. Diuretika wirken aber auch bei Bluthochdruck und sind folglich in zahlreichen blutdrucksenkenden Medikamenten vorhanden. Im vorliegenden Fall wurde deshalb ein Warnschreiben an alle Ärzte versandt und die Arzneimittelinformation entsprechend angepasst. Dort findet man nun einen Hinweis auf die erhöhte Gefahr von Hautkrebserkrankungen bei der Einnahme von Medikamenten mit diesem Diuretikum. Empfohlen werden ausserdem häufigere Kontrollbesuche beim Arzt oder aber der Wechsel auf andere Blutdrucksenker.»
Darum ist der internationale Austausch wichtig
«Per E-Mail und in regelmässigen Telefonkonferenzen tauschen wir uns mit Partnerbehörden in anderen Ländern aus. Besonders wichtig ist dieser schnelle Austausch beim Verdacht eines neuen Sicherheitsrisikos – manchmal sind wir in der Schweiz einen Schritt voraus und gelegentlich sind andere Länder schneller. Ist in einem Land eine unerwünschte Arzneimittelwirkung aufgetreten, ist der Hersteller dazu verpflichtet, diese Meldung in der Datenbank der WHO zu hinterlegen. Trotz nationaler Besonderheiten fand in den vergangenen Jahren eine Harmonisierung der Meldesysteme statt. Aus europäischer Sicht haben insbesondere die Zusammenarbeit innerhalb der EU und die gemeinsame Datenbank bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA die Kooperation und den Austausch von Informationen nochmals verbessert.»